Es ist ein historischer Moment in Sellanger bei Hof. Fest verzurrt an einem Kran schweben die drei Rotorblätter von Bayerns erstem Bürgerwindrad zu Boden. Nach 30 Jahren hat es ausgedient und kommt ins Deutsche Museum München. Als Herzstück der Energieausstellung, die 2028 eröffnet wird. Das Museum will die Vorreiter-Rolle der Oberfranken dokumentieren: Mehr als 100 Privatleute haben Mitte der 90er Jahre zusammen mit der Bund Naturschutz Kreisgruppe Hof das Windrad für damals 1,4 Millionen D-Mark finanziert.
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Immer mehr alte Windräder werden abgebaut
Aktuell gibt es in Bayern 1.200 Windräder, bundesweit über 30.000. Nach 20 bis 25 Jahren läuft die gesetzliche Einspeisungsvergütung aus, gleichzeitig gibt es effizientere Technik. Immer mehr Windräder werden abmontiert und meist durch neue ersetzt: 2022 waren es 246, vergangenes Jahr laut Bundesverband Windenergie schon 555.
"Der Abbau ist Routine und doch immer eine Herausforderung", sagt Abbruch-Unternehmer Georg Kohlmüller. Mit Gurten gesichert erklimmt sein Industriekletterer-Team den 50 Meter hohen Betonturm des Sellanger Windrads. Oben in der Gondel kriechen sie durch enge Ritzen, lösen die massiven Bolzen, die Generator und Rotorblätter mit dem Turm verbinden, bringen Tragegurte an, um die 26 Tonnen schweren Teile sicher nach unten zu bringen. Damit sie später ins Museum passen, werden der Generator zerkleinert und die Rotorblätter in spezialisierten Firmen von 20 auf zwei Meter gestutzt. Sonderbehandlung für das Museumsstück aus Oberfranken.
Hohe Recycling-Quote von über 90 Prozent
Normalerweise werden Windräder wiederverwertet. Die Recycling-Quote liegt laut Umweltbundesamt bei über 90 Prozent. Die Betontürme werden vor Ort zerkleinert zu neuem Schotter für Straßenbau oder Windrad-Fundamente. Der Armierungsstahl wird später eingeschmolzen. Und auch das Kupfer aus den Stromkabeln ist ein begehrter Wertstoff.
Bayerns erstes Bürgerwindrad ist abgebaut und erhält ein zweites Leben im Deutschen Museum München.
Herausforderung Rotorblätter
Doch eine Herausforderung sind die Rotorblätter, so das Umweltbundesamt. Um leicht und gleichzeitig stabil zu sein, bestehen sie aus einem Holzkern, ummantelt von glas- oder carbonfaserverstärkten Kunststoffen (GfK und CfK). Aber es ist schwierig, diesen vielfach genutzten Verbundstoff - der zum Beispiel auch in Schiffen, Flugzeugen und Fahrradrahmen verarbeitet wird - wieder zu trennen. Eine Aufgabe für verschiedene Forschungseinrichtungen bundesweit. So hat etwa das Fraunhofer-Institut für Umwelt, Sicherheit und Energietechnik (UMSICHT) in Sulzbach-Rosenberg eine Pyrolyse-Anlage entwickelt.
Forschung in der Oberpfalz
Vereinfacht ausgedrückt wird bei großer Hitze ohne Sauerstoff aus den zuvor zerkleinerten Rotorblättern Öl kondensiert, das dann wieder als Kunstharz in neuen Rotorblättern eingesetzt werden könnte. Und die so getrennten Glasfasern haben die Wissenschaftler aufgeschäumt. "Dieses Schaumglas hat sehr gute Dämmeigenschaften", erklärt Chemiker Alexander Hoffmann.
Problem: Diese Methode ist aufwändig und teuer. Deshalb wird der Großteil der Rotorblätter in Müllverbrennungsanlagen verheizt, was aber in zu großen Mengen die Filter verstopft. Für Schlagzeilen sorgte vor kurzem ein Entsorgungsunternehmen aus der Oberpfalz, das Rotorblätter und andere Verbundstoff-Teile illegal in Tschechien abgeladen hatte.
"Rotorblätter sind kein Umweltproblem"
Damit sich auch bei den Rotorblättern die Ökobilanz verbessert, ist die Politik gefordert: "Rotorblätter sind kein Umweltproblem. Aus unserer Sicht wäre es einfach nötig, ein Recyclinggebot auszusprechen", sagt Matthias Franke, Leiter des Fraunhofer-Instituts und verweist auf den Verpackungsbereich, wo recycelte Teile wiederverwertet müssen.
Windkraft ist die wichtigste Energiequelle in Deutschland, 2024 wurde laut Statistischem Bundesamt so ein Drittel des Stroms erzeugt. Der Rotorblatt-Müll wird steigen: Von aktuell 20.000 Tonnen pro Jahr auf bis zu 50.000 Tonnen in den 2030er Jahren, schätzt das Umweltbundesamt. Es gibt kreative Recyclingansätze: So verpresst zum Beispiel eine Firma aus dem Harz zerkleinerte Rotorblätter zu neuen Terrassendielen. Eine andere Möglichkeit ist es, schon bei der Herstellung an die Wiederverwertung zu denken: Der Windrad-Hersteller Siemens Gamesa hat einen säurelöslichen Harz entwickelt, dadurch sollen sich Rotorblätter später leichter zerlegen lassen. Die ersten drehen sich in einem Windpark vor Helgoland.
Landschaft wieder wie vor 30 Jahren
Am Standort von Bayerns erstem Bürgerwindrad in Sellanger ist nach rund vier Wochen nichts mehr zu sehen. Bund-Naturschutz-Geschäftsführer Wolfgang Degelmann zieht eine positive Bilanz: "Wir haben 22.000 Tonnen CO₂ eingespart und 18,4 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt. Wenn wir das mit Braunkohle gemacht hätten, hätten wir hier ein Loch: 25 Meter tief, 25 Meter breit, 25 Meter lang. Wir dagegen geben die Landschaft wieder zurück, wie sie vor 30 Jahren war."
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