Ein Dienstag, Anfang August: Bauarbeiter verankern quer über eine Kreuzung im Nürnberger Stadtteil Gostenhof Sperrpoller. Ab sofort ist hier die Durchfahrt verboten. Autofahrer diskutieren erregt mit den Arbeitern. Das sind die ersten Auswirkungen des Verkehrsexperiments "Superblock", das der Nürnberger Stadtrat mit großer Mehrheit beschlossen hat.
Mehr Lebensqualität für den Stadtteil
Es ist ein Projekt mit Sprengkraft, das ist auch Göran Fedder bewusst. Denn es fallen Parkplätze weg und Autos müssen Umwege fahren. Fedder engagiert sich bei "Nürnberg autofrei". Die Initiative hatte die Idee für das Projekt. "Mir persönlich geht es gar nicht um Autos raus", sagt er. "Wir brauchen Raum für die Menschen. Gerade für die, die keinen eigenen Garten oder Balkon haben."
Bäume, Bänke und bunter Asphalt
Und das sind viele im dicht bebauten Stadtteil Gostenhof. Die Initiative, Anwohner und der Bürgerverein haben Holzkübel gebaut und mit Bäumen bepflanzt, Sitzbänke aufgestellt, die Straßen in den vier neuen Fußgängerzonen bemalt. Viele packen bei der Aktion an. Ziel ist es, dass der Superblock nach der einjährigen Probephase zur Dauereinrichtung wird.
Vorbild für Superblocks kommt aus Spanien
Die Idee des Superblocks stammt aus Barcelona. Wohnblocks wurden zusammengefasst, der Durchgangsverkehr ausgesperrt und die Stadtviertel den Fußgängern zurückgegeben. Ein Beispiel, das Schule macht – etwa in Leipzig oder Wien. Doch solche "Autos-raus"-Aktionen funktionieren nicht immer.
In München wurde 2023 die Kolumbusstraße einen Sommer lang in eine Grünfläche verwandelt – mit Rollrasen und Spielplätzen. Nicht nur die wegfallenden Parkplätze waren ein Problem. Anwohner beschwerten sich über den Lärm spielender Kinder und gegen das Projekt – mit Erfolg. Das Experiment musste vorzeitig abgebrochen werden.
Ist Gostenhof bereit für das Experiment?
Die Frage ist, ob sich die Anwohner in Gostenhof auf den Superblock einlassen. Sie hatten die Möglichkeit, sich bei Info-Veranstaltungen und Workshops zu beteiligen. Die Voraussetzungen sollten eigentlich gut sein. Der ehemalige Arme-Leute-Stadtteil hat sich gewandelt. Er ist bunt und offen, es gibt eine große linksalternative Szene.
Vier neue Fußgängerzone und Durchfahrtssperren für Autos: Das ist der Superblock in Gostenhof.
Verlust an Bequemlichkeit ist eingeplant
Für die Stadt war es wichtig, dass eine Initiative und der Bürgerverein hinter dem Projekt stehen, sagt Nürnbergs Baureferent Daniel Ulrich. Er kennt das Dilemma: Die Flächen sind knapp. Wenn Radfahrer und Fußgänger mehr Raum bekommen – geht das nur zu Lasten der Autofahrer. "Wenn ich öffentlichen Raum zurückerobere, dann müssen Autos, die heute hier parken, woanders parken. Das ist für die Leute eine Änderung ihrer Bequemlichkeit", sagt Ulrich.
Einer, der regelmäßig an der Suche nach einem Parkplatz verzweifelt, ist Jean-François Drożak. Der Theatermacher wohnt mitten in Gostenhof und ist auf Kleintransporter angewiesen, mit denen er seine Bühnenbilder transportiert. Er muss jetzt noch mehr Runden drehen, bis er einen Parkplatz findet. Es gebe zwar ein Parkhaus in der Gegend, "aber das ist für Dauerparker ausgebucht."
Linke Szene und Skeptiker lehnen "Superblock" ab
"Mietenstopp statt Superblock": Mit solchen Graffitis lehnt die linke Szene das Experiment ab. Viele fürchten, dass Wohnen durch die Aufwertung des Stadtteils teurer wird. Die Mieten würden sowieso steigen, kommentiert Baureferent Ulrich: "Einen Stadtteil hässlich zu lassen, damit er billig bleibt, ist keine Lösung."
Einige Superblock-Skeptiker, die schon lange im Stadtteil leben, kritisieren den Planungsprozess. Von den Vorbereitungstreffen hätten viele nichts mitbekommen. Es wurden dann zwar Infoblätter verteilt. "Aber da war alles schon entschieden", sagt Künstler Abax Meyer, "Bürgerbeteiligung geht anders."
Die Gegner fordern einen runden Tisch, an dem ihre Bedenken ernst genommen würden. Moderiert von einem unabhängigen Experten, nicht vom Stadtplanungsamt. Außerdem wollen sie Unterschriften sammeln und prüfen, ob sie auch juristisch gegen das Projekt vorgehen können.
Hoffen auf den Sommer
Die Aktivisten von der Superblock-Initiative stellen sind dem Gegenwind. "Wenn wir hier auf der Straße sind, haben wir zu 95 Prozent nur positive Rückmeldungen", sagt Göran Fedder. Die Kritiker würden sich "lieber per E-Mail" zu Wort melden. Die Initiative hofft auf den Sommer und darauf, dass die Menschen die neue Freiheit auf den Straßen von Gostenhof annehmen. In einem Jahr entscheiden die Stadträte, ob die Sperrungen dauerhaft bleiben.
Im Video: Autos raus - Fußgänger rein?
Zoff um Superblocks
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