Die junge Frau kniet auf dem Boden. Sie schließt die Augen und streckt die Hände nach oben. "Zehntausend mal zehntausend Engel stehen vor dir", singt eine Band. Die junge Frau stimmt in den Lobpreis ein. Eine Szene aus dem Gebetshaus Augsburg. Ein kubusförmiger Bau in einem Gewerbegebiet. 24 Stunden am Tag wird hier gebetet.
Ein "modernes Kloster", nennt es der Gründer Johannes Hartl. Der Theologe und sein Gebetshaus sind Fixsterne im Kosmos der charismatischen christlichen Erneuerungsbewegungen, die im deutschsprachigen Raum auf dem Vormarsch sind. Die Versprechen: Jesus persönlich begegnen. Heilung. Die Welt wird unterteilt in Gut und Böse.
- Die gesamte ARD-Story "Die hippen Missionare – mit Jesus gegen die Freiheit?" findet ihr über diesen Link
"Von Gott alleine zu großen Dingen berufen"
Ein trendiges Café gibt es im Gebetshaus auch. Glauben im Instagram-Look. Anders als in vielen Kirchen trifft man hier auch viele junge Menschen. Das Einzige, was sie brauche, sei "unter Gottes Blick zu stehen", berichtet eine junge Frau. Das habe sie im Gebetshaus gelernt. Nun sei sie "von Gott alleine zu großen Dingen berufen".
Auch Simone Coring faszinierte das Gebetshaus. Nach ihrem Theologiestudium bewirbt sie sich dort für ein Volontariat. 2017 war das. Alle hätten sie freundlich willkommen geheißen. Doch schon bald kommen Coring Zweifel.
Krebs durch "sündhafte Verstrickungen"?
In einem Video-Vortrag sei beispielsweise empfohlen worden, bei Krebserkrankungen nach "sündhaften Verstrickungen in der Familie" zu forschen. "Das halte ich für extrem gefährlich", sagt Coring. Denn so werde "krebskranken Menschen selbst die Schuld für die Erkrankung gegeben, oder den Eltern oder Großeltern".
Zunächst erwidert Gebetshaus-Gründer Hartl, er würde die Krebs-Aussagen so "natürlich überhaupt nicht unterschreiben". Er spricht von einer "seltsamen" Aussage. Dann fragt Hartl jedoch: "Wo sehen Sie da die Gefahr, wenn man zum Beispiel sagen würde, es gibt Verstrickungen, die krank machen. Es gibt ja auch Psychosomatik."
Ein Vortrag mit brisanten Aussagen
Hartl sieht sich durch solche Kritik in ein falsches Licht gerückt. Vor allem, wenn man ihn auf seinen Vortrag "Der Kampf um Europa" anspricht, aus der Anfangszeit des Gebetshauses: Eine Familie könne "nie aus einem gleichgeschlechtlichen Paar bestehen, eine Ehe kann nie ein gleichgeschlechtliches Paar sein", sagt Hartl in dem Vortrag. Alles, was früher "böse, verwerflich, sträflich, schändlich genannt wurde", werde nun als erlaubt angesehen, erregte sich Hartl. Sexualaufklärung durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bezeichnete er als Merkmal eines "totalitären Regimes".
Einige Aussagen würde er so nicht wiederholen, räumt Hartl auf Nachfrage ein – besonders jene zu homosexuellen Paaren, Ehe und Familie seien "unterkomplex". Über seine damaligen Aussagen zu berichten sei jedoch "unseriös" und "Framing". Man wolle ihm "sektenhafte Sachen" und "krude Zitate" unterstellen. Sein Vortrag sei elf Jahre alt und inzwischen von seinen Plattformen gelöscht. Mehr als 100 andere Vorträge von ihm seien online frei verfügbar.
"Private Dinge Schauplatz geistlicher Kämpfe"
Hartl ist inzwischen Beststeller-Autor. Und wenn sein Gebetshaus zur "Mehr-Konferenz" lädt, kommen mehr als 10.000 Gläubige, kirchliche Würdenträger inklusive: Der katholische Augsburger Bischof Bertram Meier stand schon mehrfach auf der Bühne der "Mehr-Konferenz". Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sandte Grußbotschaften. Zuletzt reiste Kardinal Christoph Schönborn aus Wien an.
Im ganzen deutschsprachigen Raum sind Bewegungen wie das Gebetshaus auf dem Vormarsch – Jüngerschaftsschulen inklusive, sagen Expertinnen wie die Theologin Maria Hinsenkamp. Junge Menschen würden gezielt angesprochen, "weil sie noch prägsam und beeinflussbar sind". Die Botschaft der Bewegungen: "Auf der einen Seite Errettung, auf der anderen Seite ewige Verdamnis." Sie kritisiert, dass bei den Bewegungen "private Dinge ganz stark zum Schauplatz geistlicher Kämpfe gemacht werden".
Bischof stellt Bewegung eine Immobilie bereit
Besonders eng verbunden mit charismatischen Erneuerungsbewegungen ist der katholische Passauer Bischof Stefan Oster. Mit Hartl. Aber auch mit der Loretto Gemeinschaft aus Österreich, gegründet von Georg Mayr-Melnhof, der aus einer Industriellen-Familie stammt, die zu den reichsten Österreichs gezählt wird.
Den Lorettos hat Oster eine Immobilie bereitgestellt. Der Bischöfliche Stuhl hat sie zuvor für rund fünf Millionen Euro sanieren lassen. Nun betreiben dort die Lorettos eine ihrer "Home-Bases", zu der auch eine Jüngerschaftsschule gehört. Jedes Jahr werden dort junge Menschen von den Lorettos zu Missionarinnen und Missionaren ausgebildet. Die Kosten für Teilnehmer: 750 Euro pro Monat.
"Sie sollten doch beten"
Auch Firmung-Vorbereitung übernehmen die Lorettos. Ein Mann, der im Bistum Passau als Firmbegleiter tätig ist, hat Heranwachsende in die Loretto-"Home-Base" begleitet. Die Firmlinge seien dort "vehement angegangen worden, kumpelhaft, ohne Distanz", berichtet er dem BR. "Sie sollten doch beten, in ihre Gemeinschaft kommen. Eine eingeschworene Gemeinschaft, schon so in Richtung Sekte." Die Loretto Gemeinschaft erwidert, viele positive Rückmeldungen zu erhalten. Zudem habe man hohe Präventions-Standards und rege zu direktem Feedback an.
Neben Loretto hat Bischof Oster auch den US-Missionaren der FOCUS-Bewegung die Türen geöffnet. Die Missionare hätten die theologische Studentenschaft an der Uni gespalten, hört man aus der Studentenschaft.
Studentin mit Suizid-Gedanken
Maria-Theresia Ebner, die frühere Pastoralreferentin der katholischen Hochschulgruppe, beschäftigt besonders ein Fall: Eine Studentin habe sich ihr anvertraut, weil sie sich von den FOCUS-Missionaren habe lösen wollen. Daraufhin sei sie aus dem Umfeld der FOCUS-Missionare bedrängt worden. Ihr sei nahegelegt worden, "noch mehr zu beten und noch mehr Buße zu tun". Die Studentin hätte Suizid-Gedanken geäußert, berichtet Ebner.
FOCUS erklärt schriftlich, Studierende mit Suizid-Absichten nicht zu mehr Gebeten aufzufordern. Stattdessen würde FOCUS qualifizierte und professionale Hilfe vermitteln. Ihre Missionare seien trainiert zu erkennen, wenn jemand solche Hilfe oder seelischen Beistand benötige.
Die FOCUS-Missionare boten Studierenden nach BR-Recherchen auch "die Befreiung von sexuellen Sünden" an: "Wir sind fest überzeugt, dass Jesus auch für Sexualität einen Plan hat", sagt James Harrison, Europachef von FOCUS. Nachdem Kritik daran laut wird, wird das Wirken der FOCUS-Missionare untersucht, und zwar vom bischöflichen Ansprechpartner für geistlichen Missbrauch in Passau. Der interne Bericht liegt dem BR vor.
Im Fokus: Pornosucht
Es geht vor allem um Pornosucht. Oder genauer gesagt um das, was die Missionare darunter verstehen. FOCUS würde "katastrophierend" behaupten, dass Porno-Konsum und Selbstbefriedigung "per se unfrei machende Verhaltensweisen" seien. Diese Sicht der Missionare sei "wissenschaftlich keinesfalls haltbar", so der Bericht.
FOCUS biete sogar Übungen an, die in die Kategorie "Therapie" gehören. Die Missionare würden vorgeben, "Gedanken zu ändern und Triebe umzuleiten" und von "Befreiung" sprechen. Dafür seien sie aber "psychologisch und therapeutisch nicht qualifiziert". Der Bericht endet mit einer eindeutigen Empfehlung an die Bistumsleitung: FOCUS den Auftrag für das Programm "Befreiung von sexuellen Sünden" zu entziehen.
Wie reagiert der Passauer Bischof?
Wie hat Bischof Oster darauf reagiert? Seine Pressesprecherin antwortet schriftlich, dass es sich nicht um ein "Programm" von FOCUS handele, sondern um ein "Handout" eines FOCUS-Missionars. Darin habe dieser seine persönlichen Gedanken zum "Umgang mit 'Sexuellen Sünden' festgehalten". Trotzdem hätten alle im Bistum tätigen FOCUS-Missionare an einer Präventionsschulung teilnehmen müssen, in der körperlicher und geistlicher Missbrauch thematisiert worden seien. FOCUS selbst erklärt, keinerlei Therapie durchzuführen. Und auch keine Programme, die sich auf eine psychologische oder medizinische Behandlung beziehen.
Wenige Tage vor Veröffentlichung dieser Recherchen kündigte das Bistum Passau an, dass die FOCUS-Missionare ihre Arbeit in Europa einstellen werden – und damit auch an der Passauer Uni. Grund sei eine "strategische Neuausrichtung" der Organisation.
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