Endlich Aufmerksamkeit für das Thema, sagt Lotte aus München. Catcalling hat die junge Frau, die eigentlich anders heißt, schon häufig erlebt. Den Pfiffen, sexistischen Sprüchen oder Kommentaren auf offener Straße wollte sie etwas entgegensetzen: Mit ihrer Instagram-Seite "Catcalls of Munich" will sie das Ausmaß der verbalen Belästigungen sichtbar machen und zeigen, dass Catcalling kein Einzelfall ist.
Rund 7.800 Menschen folgen der lokalen Initiative, die Teil des Dachverbands "Chalk Back Deutschland" ist. Gepostete Fotos zeigen unter anderem mit Kreide auf die Straße geschriebene Belästigungen – es sind dieselben Sprüche, von denen auch Frauen auf der Seite aus eigener Erfahrung berichten. "Hey Schnecke. Lust auf ne heiße Nummer?", steht da zum Beispiel, oder "Flittchen!".
In manchen EU-Ländern ist Catcalling strafbar, in Deutschland nicht. Nun gibt es einen Vorstoß von der SPD, an der Gesetzeslage etwas zu ändern. Lotte hofft, dass bald konkret etwas vorangeht.
Bisher wenig Handhabe für Betroffene von Catcalling
Meist geht das sogenannte Catcalling von Männern aus und richtet sich gegen Mädchen und Frauen. Bisher können sich Betroffene gegen übergriffige und anzügliche Kommentare kaum wehren. Denn: Verbale Herabwertungen sind in der Regel nicht strafbar. Laut deutscher Rechtsprechung setzt beispielsweise eine sogenannte "sexuelle Handlung" eine körperliche Berührung voraus. Dass auch Worte, Blicke und Gesten jemanden verunsichern und bedrohen können, wird nicht berücksichtigt.
Das will die SPD-Bundestagsfraktion ändern. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sonja Eichwede sprach im "Stern" von einer Gesetzeslücke, die geschlossen werden müsse. Obszöne Gesten, anzügliche oder sexuell beleidigende Bemerkungen seien bislang gesetzlich nicht ausreichend erfasst. Das sieht auch die SPD in Bayern so. "Niemand ist gezwungen, Frauen anzüglich anzupöbeln – und keine Frau sollte gezwungen sein, sich so etwas anhören zu müssen", betonte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Holger Grießhammer.
Union sieht keinen akuten Handlungsbedarf
Die Union verurteilt verbale Belästigungen ebenfalls als nicht akzeptables Verhalten, sieht mit Blick auf konkrete Schritte allerdings keinen akuten Handlungsbedarf. "Äußerungen oberhalb der Schwelle zur Beleidigung" seien bereits jetzt strafbar, sagt Susanne Hierl. Sie ist rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag und Abgeordnete der CSU. Das halte sie für angemessen: "Strafbarkeit für Äußerungen unter dieser Schwelle sehen wir unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit und des Ultima-Ratio-Gedankens als problematisch an und daher für schwer praktikabel." Sollte das Bundesjustizministerium jedoch einen konkreten Vorschlag vorstellen, werde man den prüfen.
Gesetz könnte Sicherheit schaffen und sensibilisieren
Aus Sicht von Lotte ist die aktuelle Lage für viele Betroffene eine ernstzunehmende Belastung. Viele Frauen nähmen herabwürdigende Äußerungen von Männern als "normal" an, als etwas, das sie eben wegstecken müssten. Teilweise begleitet von der Angst, dass ein hinterhergerufener Spruch zu weiteren Übergriffen führen könnte. Ein Gesetz könnte da helfen, findet Lotte: "Es schafft einfach ein bisschen Sicherheit und vor allem auch Sensibilität und es ist ja auch eine Richtungsweisung, dass man weiß: Hier ist eine Grenze, das steht auch im Gesetzbuch, da braucht man gar nicht drüber zu diskutieren."
Darüber hinaus könnte ein Gesetz gegen Catcalling Signalwirkung entfalten, sagt die Psychologin Sabrina Courtial vom Frauennotruf München. Gesetzesänderungen seien "ein wesentliches Element von gesellschaftlicher Sensibilisierung, weil vieles erst in die Köpfe vordringt, wenn klar ist, das hat Konsequenzen", betont die Beraterin. Das Beispiel "Nein heißt Nein" von 2016 habe gezeigt, wie der Bundestag für ein solches Umdenken sorgen könne. Damals entschied das Parlament, dass alle sexuellen Übergriffe bestraft werden, die gegen den erkennbaren Willen einer Person stattfinden.
So ist die Rechtslage in anderen Ländern
In anderen Ländern gibt es für Catcalling bereits rechtliche Konsequenzen: In Frankreich und Portugal drohen Geldstrafen, in Spanien sind sogar Haftstrafen möglich.
Sollte Catcalling perspektivisch gesetzlich strafbar sein, müssten allerdings auch Beweise für ein Vergehen vorliegen. Das heißt: Betroffene könnten etwa zum Handy greifen und filmen. Im öffentlichen Raum ist das laut dem Münchner Strafrechtsexperten Christoph Knauer erlaubt, um Beweise zu sichern. Anders sieht es allerdings in Privatwohnungen aus – dort darf nicht einfach gefilmt werden, nur in Notsituationen. Und: Auf Social Media sollten die Aufnahmen grundsätzlich nicht landen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!