Frauke Brosius-Gersdorf sollte am vergangenen Freitag eigentlich vom Bundestag zur neuen Richterin des Bundesverfassungsgerichts gewählt werden. Doch dazu kam es nicht. Die Wahl wurde abgesetzt. Vorangegangen war eine hitzige Debatte zwischen den Koalitionären. Die Standpunkte der SPD-Wunschkandidatin – unter anderem zum Thema Abtreibung – waren bei CDU/CSU nicht mehrheitsfähig. Bemerkenswert, denn die Kandidatin der SPD stand seit längerem fest.
Causa Brosius-Gersdorf ist jetzt Chefsache
Im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers hat Sigmar Gabriel, langjähriger SPD-Vorsitzender und Vizekanzler im Kabinett Merkel, zur weiteren Vorgehensweise von Schwarz-Rot eine klare Meinung.
Der SPD-Parteivorstand müsse jetzt "das Thema an sich ziehen und der Fraktion sagen: Leute, das beraten wir jetzt mal gemeinsam hier im Vorstand. Die beiden Parteivorsitzenden müssen mit Friedrich Merz reden, um eine Lösung zu finden. Das kann man jetzt nicht an alle möglichen Gremien weiterleiten. Sondern hier muss die Entscheidung von vorne kommen. Und die muss der Rest der Fraktion akzeptieren."
Gabriel sieht Ruf des Bundesverfassungsgerichts in Gefahr
Gabriel warnt davor, die Wahl der Bundesverfassungsrichter zum Gegenstand einer tagespolitischen Auseinandersetzung zu machen: "Das Verfassungsgericht ist die demokratische Institution in Deutschland, die mit Abstand die höchste Reputation hat. Und das zu Recht."
Dann geht Gabriel auf den Auftritt der SPD-Kandidatin für das Amt der Bundesverfassungsrichterin im ZDF ein: "Ob die Kandidatin gut beraten ist, durch Talkshows zu ziehen? Damit begibt sie sich in das Feld der Politik, in das Feld des Parlaments. Genau da gehört das Verfassungsgericht nicht hin. Das Verfassungsgericht ist eine Institution, die hinter verschlossenen Türen darüber beraten soll, wie die Verfassung angemessen ausgelegt und geschützt werden kann."
Gabriel kritisiert offen CDU und SPD
Gabriel kritisiert im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers die Union, aber auch seine eigene Partei. Bei CDU/CSU sei „das Handwerk katastrophal“ gewesen. Jens Spahn wisse nicht, wie in seiner Fraktion gedacht werde.
Vor allem in Richtung der SPD betont der Sozialdemokrat, der von 2013 bis 2018 Vizekanzler im Kabinett Merkel war, mit Blick auf die Richterwahl: „Wenn sie jemanden auswählen, bei dem relativ klar ist, dass die großen Kirchen sich öffentlich dagegenstellen werden, dann kann man schnell ahnen, dass es für die CDU und CSU ein sehr schwieriges Thema wird. Das sind so Dinge, die müssen sie versuchen in einer Koalition im Vorhinaus zu ahnen.“
Koalition steht nicht nur von innen unter Druck – auch von außen
Nicht die einzige große Herausforderung für Schwarz-Rot aus Sicht von Sigmar Gabriel. Der ehemalige Bundesaußenminister ist als Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V. ein ausgewiesener Kenner der USA. Dass US-Präsident Trump angekündigt hat, die USA würden künftig Zölle in Höhe von 30 Prozent auf Waren aus der EU erheben, sei eine große Herausforderung für die Politik.
Denn das sei keine Maßnahme, um "mehr Geld zu kreieren", sondern Trump wolle Unternehmen zurück in die USA holen: "Trump sagt, die Zölle fallen in der Sekunde weg, in der ein Unternehmen in den USA produziert. Damit will er eine Reindustrialisierung der USA erreichen. Deswegen bin ich ein bisschen skeptisch, ob es uns gelingt, die Zölle wirklich substanziell runterzuverhandeln, weil dieses Ziel erreicht er nur mit hohen Zöllen." Die Koalition steht in diesen Tagen unter gehörigem Druck – nicht nur von innen, auch von außen.
Im Video: Union und SPD im Krisenmodus
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