Kanzler, Vizekanzler und Unions-Fraktionschef vergangene Woche im Bundestag
Kanzler, Vizekanzler und Unions-Fraktionschef vergangene Woche im Bundestag
Bild
Jens Spahn am Rednerpult, Kanzler Merz und Vizekanzler Klingbeil beobachten ihn.
Bildrechte: picture alliance / photothek.de | Florian Gaertner
Schlagwörter
Bildrechte: picture alliance / photothek.de | Florian Gaertner
Audiobeitrag

Jens Spahn am Rednerpult, Kanzler Merz und Vizekanzler Klingbeil beobachten ihn.

Audiobeitrag
>

Nach gescheiterter Richterwahl: Koalition in der Krise?

Nach gescheiterter Richterwahl: Koalition in der Krise?

Die Koalition in Berlin streitet über eine Personalie. Unions-Fraktionschef Spahn ist angeschlagen. CDU-Chef Merz will von Krise aber nichts hören. Also alles in Ordnung in Berlin?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Bereits der Start der schwarz-roten Koalition war holprig. Friedrich Merz (CDU) fiel Anfang Mai im ersten Wahlgang zur Wahl des Bundeskanzlers durch. Ein einmaliger Vorgang, den es so noch nie gegeben hat. Wer waren die Abweichler? Die Wahl war geheim. Sowohl CDU und CSU als auch die SPD versicherten, in ihren Reihen habe die Mehrheit gestanden, was rein rechnerisch nicht sein konnte. Und nun die abgesagte Wahl der Richter am Bundesverfassungsgericht. Steckt die neue Koalition also früher in der Krise als jede andere Koalition zuvor?

Fraktionschef organisiert Mehrheiten

Bei wichtigen Abstimmungen, die innerhalb von Koalitionen umstritten sind, spielen Fraktionsvorsitzende eine entscheidende Rolle. Jens Spahn ist bei der Unionsfraktion ebenso neu im Amt wie auch Matthias Miersch bei der SPD. Bei seiner Wahl Anfang Mai bekam Spahn mehr als 91 Prozent der Stimmen. Rückendeckung scheint also da zu sein. Und dennoch schaffte es Spahn nicht zu garantieren, dass seine Fraktion bei der Wahl der Verfassungsrichter hinter der bereits getroffenen Personalauswahl steht. Der ehemalige Verfassungsrichter und CDU-Spitzenpolitiker Peter Müller nannte den Vorgang in der SZ "eklatantes Führungsversagen der Union".

Haltung der Richterin zu Abtreibung war bekannt

Union und SPD hatten sich unter anderem auf die Potsdamer Juristin Frauke Brosius-Gersdorf verständigt. Deren liberale Haltung in Fragen des Abtreibungsrechts war bekannt. Noch am Mittwoch, zwei Tage vor der eigentlich geplanten Richterwahl, war Friedrich Merz im Bundestag von der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch gefragt worden, ob er die Personalie Brosius-Gersdorf mit seinem Gewissen verantworten könne. Merz antwortete klar und deutlich mit "Ja". Erst als die Vorbehalte gegen die Juristin immer lauter wurden und dann auch noch Plagiatsvorwürfe auftauchten, wurde die Wahl am Freitagmorgen kurzfristig abgesetzt. Für die Außenwirkung der Koalition ein Debakel.

Merz räumt mangelnde Sensibilität ein

Bundeskanzler Merz gab zwei Tage nach der gescheiterten Wahl zu, man habe den Unmut in der Unionsfraktion "unterschätzt". Der CDU-Chef nahm sich selbst in Mithaftung: "Wir hätten (das) früher erkennen müssen." Damit stellte er sich indirekt hinter Fraktionschef Jens Spahn. Merz schob allerdings noch einen Satz hinterher, der durchaus an Spahn gerichtet sein dürfte: "Beim nächsten Mal machen wir es besser." Der Kanzler weiß, dass Spahn wegen der Maskenkäufe in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister angeschlagen ist. Sollte Spahn noch mehr unter Druck geraten, dürfte die Solidarität innerhalb der Union schwinden.

Söder: Keine Aktivisten als Richter

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder räumte am Montag ein, die vertagte Abstimmung am Freitag sei "kein Ruhmesblatt" gewesen. Er empfehle allen, man möge nun etwas "runterkühlen". Generell sollten Kandidaten für das Amt als Bundesverfassungsrichter "weniger aktivistisch oder polarisierend" sein. Söder machte klar, dass er keinen Zweifel an den juristischen Fähigkeiten von Frauke Brosius-Gersdorf habe, aber auf dieser Kandidatin liege "einfach kein Segen mehr".

Streit über Gesellschaftspolitik kann zur Krise werden

Während die Ampelkoalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an den Finanzen gescheitert war, scheinen die Knackpunkte in der jetzigen Koalition in gesellschaftspolitischen Fragen zu liegen. So hatte Julia Klöckner (CDU) die Entscheidung über die Regenbogenfahne auf dem Reichstagsgebäude zwar in ihrem Amt als Bundestagspräsidentin getroffen, der Zustimmung in ihrer Partei konnte sie sich aber sicher sein. Parteichef Merz sprang ihr mit dem Satz, der Bundestag sei kein Zirkuszelt, mehr als deutlich bei.

In Fragen des Abtreibungsrechts ist die SPD weitaus liberaler aufgestellt als CDU und CSU. Allein als die Ampelregierung die Abschaffung des Paragrafen 219a auf den Weg brachte, witterte die Union den Verdacht, dass es SPD, Grünen und FDP in Wahrheit um mehr als nur um die Erlaubnis von Werbung für Schwangerschaftsabbrüche ging, die der 219a verbot.

Die Ampel hat den Paragrafen 218, der die Strafbarkeit von Abtreibung regelt, nicht mehr geändert. Klar ist, mit der Union wird das auch nicht passieren, auch wenn es die entsprechenden Forderungen in der SPD danach nach wie vor gibt. Gut möglich also, dass sich die Koalition nicht übers Geld streiten wird, aber sehr wohl über ethische und gesellschaftspolitische Fragen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!