Sie mussten für das Unrecht der Nationalsozialisten bezahlen: Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten Millionen Deutsche ihre Heimat in Osteuropa verlassen. Sie wurden vertrieben oder flüchteten. Beim Gedenken an 80 Jahre Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den osteuropäischen Ländern im Landtag erinnert der Landesvorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Christian Knauer, vor allem an das Leid der Einzelnen: "Wie das Erlittene heute in den Betroffenen, aber auch in ihren Kindern frisst, das bleibt unvorstellbar." Sie waren Gewalt, Hunger, Kälte, Krankheit, Willkür, Tod ausgesetzt. "Das Leid der Vertriebenen ist zuallererst persönliches Leid: Die Furcht und den Schmerz, die Trauer, das Heimweh, erleidet immer der einzelne Mensch, er muss in seinem Leben mit den Verletzungen und Erinnerungen zurechtkommen."
"Was hätte ich in den Koffer gepackt?"
Auch Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) wendet sich in ihrer Rede diesem Leid zu: Nachdem 1945 rund 15 Millionen Menschen vertrieben, enteignet, der Heimat beraubt wurden, seien sie "rechtlos und auch vogelfrei" gewesen. "Ich kann mir das persönlich einfach gar nicht vorstellen, was es bedeutet, zu sagen: In ein paar Stunden musst du deine Heimat verlassen. Da läuft es mir jedes Mal kalt den Rücken runter."
Jenes Leid deutlich vor Augen geführt habe Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) ein Ausstellungsstück im Sudetendeutschen Museum in München: Ein simpler, brauner Lederkoffer, den eine Familie auf ihrer Flucht bei sich trug. Für Herrmann sei es ein "beklemmendes Gefühl" gewesen, zu sehen, wie viel eines Lebens zurückbleiben musste. "In diesen Koffer musste ein ganzes bisheriges Leben passen." Er selbst habe sich gefragt: "Was hätte ich in den Koffer gepackt: Fotoalben, Urkunden - nimmt man Briefe mit, Erinnerungsstücke oder ganz pragmatisch Kleidung und Verpflegung?"
Redner schlagen Brücke zu Russland: "Wir brauchen dazu eine Haltung"
Dass Flucht und Vertreibung keine Phänomene der Geschichte sind, zeige der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Darin waren sich alle Redner einig und bekamen dafür teils langanhaltenden Applaus. Der Landesvorsitzende der Vertriebenen, Christian Knauer, bezeichnete Nationalismus, Totalitarismus, Kommunismus, menschliche Überheblichkeit, egoistische Machtansprüche und Rassismus als "Quellen des Bösen". Damit anderen erspart bleibe, was seine Vorfahren erleiden mussten, müsse Deutschland die Freiheit "gegen alle Feinde, von innen und außen, entschlossen verteidigen".
Auch Ilse Aigner betonte, dass Deutschland Freiheit und Selbstbestimmung "verteidigen" müsse, um Frieden zu gewährleisten. "Zu wissen, wo man herkommt, hilft sehr, um zu wissen, wo man auch hinwill." 80 Jahre Flucht und Vertreibung mag manchem lange her erscheinen, gab Aigner zu Bedenken, aber Russlands Präsident Putin habe die dunkelsten Kapitel europäischer Geschichte fortgeschrieben. "Wir brauchen dazu eine Haltung, die auch in politische Taten mündet", forderte Aigner. Putin "dienerisch" entgegenzukommen, sei Aigner zufolge nicht "der richtige Weg".
Vertriebene haben zum europäischen Frieden beigetragen
Dass die politische Haltung der Heimatvertriebenen der Grundstein gewesen sei für 80 Jahre Frieden in Europa, betonte Staatskanzleichef Florian Herrmann. Das hätten sie bewiesen, als sie 1950 die "Charta der deutschen Heimatvertrieben" unterzeichneten: Sie verpflichteten sich, auf Rache und Vergeltung zu verzichten und beim Wiederaufbau eines geeinten Europas mitzuhelfen. Mit dieser Haltung hätten die Heimatvertriebenen etwas mitgebracht, "was sie nicht in einen Koffer packen konnten": den Willen zur Versöhnung.
Im Video: Gedenkakt - 80 Jahre Flucht und Vertreibung
Millionen Deutsche mussten im und nach dem Krieg Haus und Hof im östlichen Europa verlassen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!

