ARCHIV (27.09.2019): Der bayerische Landtag
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Landtag erinnert: 80 Jahre Vertreibung – 75 Jahre Verständigung
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Landtag erinnert: 80 Jahre Vertreibung – 75 Jahre Verständigung

Landtag erinnert: 80 Jahre Vertreibung – 75 Jahre Verständigung

Der Bayerische Landtag erinnert heute mit einem Gedenkakt an "80 Jahre Flucht und Vertreibung – 75 Jahre Verständigung". Damals mussten Millionen Deutsche ihre Heimat im östlichen Europa verlassen.

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Vor 80 Jahren mussten Millionen Deutsche ihre Heimat im östlichen Europa verlassen: Sie wurden aus Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas vertrieben oder flüchteten. Es war eine Folge des Angriffs- und Vernichtungskriegs der Nationalsozialisten, von deren Regime Deutschland und die besetzten Gebiete im Mai 1945 von den Alliierten befreit wurde. Für die deutsche Bevölkerung in Osteuropa folgten Jahre voller Leid.

Flucht und Vertreibung als kollektives Trauma

Der Landesvorsitzende des Bunds der Vertriebenen, Christian Knauer, will beim Gedenken im Landtag vor allem an dieses Leid erinnern: An Gewaltexzesse, Hunger, Kälte, Krankheiten und Willkür, dem die Vertriebenen und Geflüchteten ausgesetzt waren. Mehrere hunderttausend Menschen starben.

Die Überlebenden mussten alles hinter sich lassen: ihre Häuser, Landwirtschaften, Betriebe und andere Besitztümer. Sie waren heimatlos geworden. Viele Betroffene und ihre Familien sind davon bis heute traumatisiert. Forschungen widmen sich mittlerweile dem Phänomen der "transgenerationalen" Traumata.

1952 war jeder vierte Einwohner Bayerns Vertriebener

In Bayern kamen laut Bayerischem Sozialministerium in den ersten Jahren nach 1945 etwa 2,1 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge an. Bei einer Bevölkerung von dann insgesamt neun Millionen Einwohnern machten die Neuankömmlinge aus den östlichen Ländern Europas damit etwa ein Viertel aller Bewohner in Bayern aus.

Die Mehrheit, rund 55 Prozent, kam aus der Tschechoslowakei: die Sudetendeutschen. Die zweitgrößte Gruppe stammte aus Schlesien (24 Prozent) sowie aus Ostpreußen, Pommern, dem Baltikum, aus Danzig und Ungarn. Auch in den Folgejahren trafen Deutsche aus Ost- und Südosteuropa in Bayern ein, beispielsweise Aussiedler aus Rumänien. Hunderttausende "Russlanddeutsche" kamen in den 1990ern nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

Vertriebene haben Deutschland mit aufgebaut

Bis heute sind bayerische Städte von den Vertriebenen und Geflüchteten geprägt. Geretsried, Waldkraiburg und Traunreut in Oberbayern, Neutraubling in der Oberpfalz und Neugablonz - ein damals komplett neuer Stadtteil von Kaufbeuren in Schwaben - hatten zuvor nicht existiert. Sie wurden für Vertriebene geschaffen. Sie lebten zunächst in Lagern, später in Siedlungen. Und: Neben Altbayern, Schwaben und Franken wurden die Sudetendeutschen offiziell zum "vierten Stamm Bayerns" erklärt. Forschende sind sich einig: Die Vertriebenen haben wesentlich zum Wiederaufbau Deutschlands nach dem Krieg beigetragen.

Beitrag zur Versöhnungsarbeit

Würdigen will der Landtag in dem Gedenkakt auch, dass Vertriebene schon wenige Jahre nach Kriegsende begannen, Versöhnungsarbeit zu leisten. Als Beginn dafür gilt die Charta der deutschen Heimatvertrieben, die die Sprecher der Vertriebenenverbände und ostdeutschen Landsmannschaften Anfang August 1950 in Stuttgart unterzeichneten. Der Inhalt: "Pflichten und Rechte" der Flüchtlinge und Vertriebenen. Auf Rache und Vergeltung für die Vertreibung sollte verzichtet, die Schaffung eines geeinten Europas und der Wiederaufbau unterstützt werden. Wobei zur Wahrheit gehört, dass das Verhältnis zwischen Vertriebenen und den Ländern im Osten lange angespannt und voller Schuldzuweisungen sowie gegenseitigem Aufrechnen des erlittenen Leids durch Krieg und Vertreibung war.

Aigner: "Versöhnung kann selbst aus tiefstem Leid erwachsen"

Mit dem Gedenkakt im Landtag soll neben der Würdigung des Schicksals von Vertriebenen und Aussiedlern auch ein Zeichen gesetzt werden: Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) betont, man wolle daran erinnern, "dass Versöhnung und Zusammenhalt selbst aus tiefstem Leid erwachsen können". Der Gedenkakt stehe für ein gemeinsames Bekenntnis zu Frieden, Freiheit und Menschlichkeit – also zu "Werten, die in Zeiten neuer Bedrohungen durch autoritäre Machtpolitik von größter Bedeutung" seien, so Aigner. Bayern ehre damit "nicht nur die Vergangenheit", sondern übernehme auch Verantwortung für die Zukunft "durch Solidarität mit den vom Krieg und von Vertreibung betroffenen Menschen in Europa".

An dem Gedenkakt nehmen neben dem Landesvorsitzenden des Bunds der Vertriebenen auch Vertreter der Landtagfraktionen teil. Wie in der Gesamtbevölkerung auch, stammen einige Abgeordnete aus Familien, die Flucht und Vertreibung selbst erlebt haben. Zum Beispiel CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek, der Freie Wähler Bernhard Pohl und Volkmar Halbleib von der SPD.

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Millionen Menschen wurden aus den früheren deutschen Ostgebieten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vertrieben oder flüchteten.

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