Klaus Holetschek ließ die Neuigkeit eher beiläufig fallen: "Wenn wir über ein Gehörlosengeld sprechen – das wir auch im Koalitionsvertrag mit drin haben, wo wir geschrieben haben, wir streben das an –, dann haben wir uns jetzt entschieden, dass es im Moment halt nicht geht aus bestimmten Gründen."
Der CSU-Fraktionschef spielte auf die angespannte Kassenlage im Freistaat an. In der Landtagsdebatte zum Doppelhaushalt 2026/27 ging es viel um das Aus fürs Kinderstartgeld – aber Holetschek kündigte eben auch an, dass es erstmal kein Geld für Gehörlose geben werde, anders als geplant. Nicht jede Entscheidung sei einfach, aber es brauche stabile Finanzen – also keine neuen Schulden.
Der Sozialausschuss des bayerischen Landtags wünscht sich weiterhin ein Landesgehörlosengeld in Bayern, erklärte er am Donnerstag. Vertreter der Regierungsfraktionen CSU und FW versprachen, in den nächsten Wochen alles zu tun, damit das seit 15 Jahren debattierte Gehörlosengeld trotz der jüngsten Sparbeschlüsse der Staatsregierung doch noch kommt. Für Roswitha Toso (FW) ist das "ein Versprechen, das eingehalten werden muss, dazu stehen wir". Auch Thomas Huber (CSU), stellvertretender Vorsitzender des Sozialausschusses, hätte das Gehörlosengeld "lieber gestern als heute" als Nachteilsausgleich und zur Verbesserung der Teilhabe der Gehörlosen.
Gehörlosenverband: "Rückzug von einem politischen Versprechen"
Bei den Betroffenen sorgt die Nachricht für Ärger: Man sei enttäuscht und frustriert, sagt Daniel Büter, politischer Referent beim Landesverband Bayern der Gehörlosen. Holetscheks Ankündigung "werten wir als schwerwiegenden Rückzug von einem klaren politischen Versprechen". Ein Gehörlosengeld für die knapp 10.000 Betroffenen in Bayern sei "ein Gebot der Gerechtigkeit" und ein notwendiger Nachteilsausgleich, so Büter.
Gehörlose Menschen hätten aufgrund ihrer Behinderung Mehrkosten zu tragen – vor allem, um am Alltag teilhaben zu können. Gebärdensprachdolmetscher für private oder ehrenamtliche Veranstaltungen, aber auch für Bank- und Notartermine müssten Betroffene in der Regel selbst finanzieren. Auch die Anschaffung technischer Kommunikationshilfen verursache Kosten. Für sehbehinderte Menschen gebe es Unterstützung, für gehörlose nicht: "Diese selektive Kompensation stellt eine diskriminierende Lücke in der bayerischen Sozialpolitik dar, die sofort geschlossen werden muss", so Büter zu BR24.
SPD sieht "soziale Schieflage" – Grünen-Gesetzentwurf liegt parat
SPD-Finanzpolitiker Volkmar Halbleib griff Holetscheks Ankündigung im Plenum direkt auf: "Dieser Haushalt hat eine ganz klare soziale Schieflage." Auch Kerstin Celina (Grüne) kritisiert, dass das Gehörlosengeld aufgeschoben werden soll. Insbesondere die Freien Wähler seien einst starke Befürworter gewesen. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen müssten sich "jetzt auf den Hosenboden setzen und eine Lösung finden".
Andere Länder zahlen zwischen 65 und 180 Euro pro Monat
In Bayern bekommen gehörlose Menschen aktuell nur dann Geld, wenn sie gleichzeitig blind oder sehbehindert sind. Ein eigenes Gehörlosengeld gibt es hingegen in sieben Bundesländern: Berlin, Brandenburg, Hessen, NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die Höhe reicht von rund 65 Euro pro Monat in Sachsen-Anhalt bis rund 180 Euro pro Monat in Berlin.
Die Grünen-Forderung liege weit oberhalb dieser Beträge, weil ein Gebärdensprachdolmetscher etwa 85 bis 100 Euro koste, so Sozialpolitikerin Celina, und zwar pro Stunde. Diese Ausgaben würden nur dann übernommen, wenn der Anlass die gehörlose Person selbst betreffe – nicht aber, wenn man als gehörloser Angehöriger zum Beispiel die eigenen Eltern beim Arztbesuch begleiten wolle.
Auch die AfD-Fraktion will ein Gehörlosengeld, aber nur in Höhe von 20 Prozent des Blindengeldes (rund 155 Euro). Das entspräche "im Wesentlichen der in anderen Bundesländern gewährten Höhe". Der Gehörlosen-Bund in Bayern hält einen Betrag von rund 230 Euro pro Monat für angemessen.
Freie Wähler: Sofortiger Start "bedauerlicherweise nicht möglich"
Sie könne die Forderung hörbehinderter Menschen nachvollziehen, teilt Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) mit. Der Koalitionsvertrag sehe einen Einstieg "im Laufe der Legislaturperiode" vor. Hierfür werde sie sich weiter einsetzen. Florian Streibl, Fraktionschef der Freien Wähler, verteidigt den schuldenfreien Haushalt: "Vor diesem Hintergrund ist ein sofortiger Start des Landesgehörlosengeldes bedauerlicherweise nicht möglich – so sehr uns diese soziale Leistung am Herzen liegt." Auch seine Fraktion halte aber "ausdrücklich daran fest", die Leistung noch in dieser Legislatur auf den Weg zu bringen.
Sollte sich an der aktuellen Entscheidung in den anstehenden Haushaltsberatungen nichts mehr ändern, bliebe für die Einführung in dieser Legislatur nur noch der Haushalt 2028 – das Jahr der nächsten Landtagswahl.
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