Hubert Gerstmeier breitet eine Papierrolle auf dem Tisch aus. "Da haben wir die Dammhöhen von 1898 in einem Nivellement aufgezeichnet finden können", erklärt er. Die Aufzeichnung zeigt also die Höhenunterschiede des Damms entlang der Zusum. In altertümlicher Schrift, mit Füllfederhalter geschrieben, sind Buchstaben und Zahlen zu sehen. Diese Kopie, das Original wurde im Staatsarchiv gefunden, liefert den Menschen aus dem schwäbischen Auchsesheim wichtige Informationen: "Somit wissen wir, wie der Damm ursprünglich mal war", sagt Gerstmeier.
Hätte ein höherer Damm mehr Wasser abhalten können?
Die Auchsesheimer wollen damit nun beweisen, dass die bestehenden Dämme entlang der Zusum mangelhaft unterhalten seien. Laut ihren Messungen fehlen zwischen 20 und 40 Zentimeter an den Dämmen, je nach Ort. Ein im Schnitt 30 Zentimeter höherer Damm hätte eine Menge Wasser abhalten können, davon sind Michael Näßl und seine Landwirtskollegen überzeugt.
Vielleicht hätte es auch den kleinen abgelegenen Ortsteil Zusum besser schützen können, vermuten sie. Der 60-Einwohner-Ort war komplett überflutet, sagt Feuerwehrkommandant Timo Bablok. Noch immer kämpfen die Einwohner mit den Schäden: "Wir wissen nicht, wie wir weitermachen sollen mit dem Hochwasserschutz, denn wir werden nach hinten priorisiert", berichtet Bablok.
Wasserwirtschaftsamt: Es fehlt an Geld und Personal
Gudrun Seidl, Leiterin des Wasserwirtschaftsamts Donauwörth, bestätigt die schwierige Lage. Es fehle an Personal und Geld, um mehr Schutz schneller umsetzen zu können. Für das kleine Zusum gilt: "Solange in Schwaben Maßnahmen mit einer höheren Priorität vorhanden sind, müssen wir dort zunächst planen. Und dann können wir irgendwann mal, wenn wir alles abgearbeitet haben, über einen Schutz für Zusum nachdenken."
Generell müssten sehr viele Prüfungen durchgeführt werden, bis Hochwasserschutzmaßnahmen umgesetzt werden könnten, sonst drohten Klagen. Deshalb fordert Seidl die Bürger in gefährdeten Gebieten auf, selbst vorzusorgen: höher bauen, Ölheizungen absichern, Lichtschächte abdichten.
Der Zusumer Feuerwehrkommandant Timo Bablok kennt die Ratschläge, nur bei einem Hochwasser wie im vergangenen Jahr hätte wohl auch das nicht viel geholfen: "Wie soll sich ein ganzes Dorf vor Hochwasser schützen – das ist ja wie ein Irrgarten in Zusum."
Widerstand gegen neuen Damm
In Auchsesheim ist der bestehende Damm im Juni 2024 überflutet worden. Die Menschen hatten damals schnell einen Behelfsdamm aus Sandsäcken gebaut – genau dort, wo das Wasserwirtschaftsamt seit Jahren einen Damm bauen möchte. Von dort heißt es außerdem, die alten alten Teilschutzdeiche seien nicht für einen Grundschutz vor einem hundertjährlichen Hochwasserereignis errichtet worden.
Alten Deich erhöhen? "Entspricht nicht mehr Regeln der Technik"
Viele wollen lieber den alten, bestehenden Deich erhöhen, auf die Höhen, wie sie in den Plänen aus den Archiven eingezeichnet sind. Doch das Wasserwirtschaftsamt winkt ab. "Die Deiche entsprechen nicht mehr den Regeln der Technik. Sie haben einen viel zu schmalen Deichquerschnitt, die Böschungen und die Deichkrone sind auch zu schmal. Da würden wir keinen Nachweis für Standsicherheit bekommen", sagt Gudrun Seidl, Leiterin des Wasserwirtschaftsamts Donauwörth. Heißt: Ein neuer Damm soll gebaut werden – doch das wird dauern.
Hochwasser-Betroffene sind enttäuscht
Für die betroffenen Bürger ist das nicht hinnehmbar, sagt der Auchsesheimer Landwirt Alex Kleinle: "Wir sind erschrocken, erstaunt und enttäuscht, dass nach elf Monaten so gut wie nichts passiert ist." Käme heute ein Hochwasser in ähnlicher Dimension wie vor etwa einem Jahr, würde den Zusumern und Auchsesheimern wohl das gleiche Szenario drohen. Dabei hängt Alex Kleinle und den anderen Betroffenen das Erlebte noch immer nach: "Wenn man weiß, wie das Wasser reingelaufen ist. Was für Gefahren und Schäden das gemacht hat, das bleibt in den Köpfen."
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