Die Himmelfahrtskirche in München-Sendling: Dort finden immer wieder Geflüchtete im Kirchenasyl Schutz.
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Letzte Rettung Kirchenasyl: Schutz vor Abschiebung?

Letzte Rettung Kirchenasyl: Schutz vor Abschiebung?

Die Zahl der Kirchenasyle in Deutschland steigt. Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres haben über 500 Menschen in einer Kirche Schutz vor Abschiebung gefunden. Doch: Wie kommen Kirchenasyle zustande und wer entscheidet, wer Schutz erhält?

Über dieses Thema berichtet: STATIONEN am .

Eine Kirchengemeinde in München an einem Montagnachmittag. Heute entscheidet sich für Nael (Name geändert), ob er bleiben kann oder in wenigen Tagen abgeschoben wird. Zuletzt war er in einem Flüchtlingslager in Bulgarien. Dahin soll er nun zurück. Aber Nael will nicht zurück: "Ich will nicht sterben. Ich bin nicht bereit, ins Gefängnis zu gehen oder zu sterben." Deshalb hat er um Kirchenasyl gebeten. Wird er es bekommen?

Kirchengemeinden gewähren Schutz

Im evangelischen Landeskirchenamt ist Diakon David Geitner für alle Kirchenasyle in Bayern zuständig, die in evangelischen Gemeinden gewährt werden. Jeden Tag erhält er mehrere Anfragen. Doch nur wenige nimmt er an. Laut eigener Aussage bekommen acht von zehn Fällen kein Kirchenasyl.

Auch über Naels Fall muss Geitner entscheiden. Dabei hilft ihm eine Zusammenfassung des Falls, die er von einer Nichtregierungsorganisation (NGO) bekommen hat. Darin heißt es, dass Nael Familienvater von drei Kindern ist und aus Syrien über die Türkei nach Bulgarien und weiter nach Deutschland geflohen ist. In Bulgarien war er in mehreren Flüchtlingslagern untergebracht. Zu seinen Erfahrungen dort heißt es in dem Bericht: "Er wurde mit Gummiknüppeln verprügelt, mit Stiefeln getreten. Er wurde mit Hunden angegriffen und hat immer wieder Polizeigewalt erlebt." Außerdem sei die Unterkunft verdreckt und voller Wanzen gewesen.

Genügend Gründe aus Sicht der Kirche, Asyl zu gewähren. Doch stimmt die Geschichte? Geitners Job ist es nun, genau das zu überprüfen. Gibt es Unstimmigkeiten, müsste Nael nach Bulgarien zurück. Denn er ist ein sogenannter Dublin-Fall. Das bedeutet, das Ersteinreiseland ist für sein Asylverfahren zuständig. In einem persönlichen Gespräch will Geitner herausfinden, ob die Schilderungen plausibel sind. Die Informationen braucht er nicht nur für sich, sondern auch für ein Dossier, dass er beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorlegen muss.

Wer bekommt Kirchenasyl - und warum?

Kirchenasyl bedeutet, dass Kirchengemeinden Geflüchtete für eine begrenzte Zeit bei sich aufnehmen, um sie vor einer drohenden Abschiebung zu schützen. Dabei geht es um sogenannte Härtefälle: den Menschen würde im Falle einer Abschiebung Folter, Tod oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Durch das Kirchenasyl soll Zeit gewonnen werden, damit der jeweilige Fall noch einmal geprüft wird. So haben es BAMF und Kirchen 2015 vereinbart. Da es aber keine rechtliche Grundlage gibt, sprechen Kritiker von Rechtsbruch.

Asyl in einer Pfarrgemeinde: Konflikt zwischen Staat und Kirche

Konflikte zwischen dem BAMF und den Kirchen gibt es immer wieder. Ein Streitpunkt: der Verbleib im Kirchenasyl nach einer Ablehnung. Geht es nach dem BAMF, sollen diejenigen, die abgelehnt wurden, das Kirchenasyl innerhalb von drei Tagen verlassen. Allerdings: "In der Praxis kommen die Kirchen dieser Pflicht fortlaufend nicht nach. Entscheidungen des Bundesamtes werden nicht akzeptiert", so das BAMF. Die Kirchen sehen das anders. Laut ihnen habe man sich auf dieses Verfahren nie verständigt. Ein Härtefall bleibe in ihren Augen ein Härtefall, auch wenn das BAMF ihn erneut abgelehnt habe, so Geitner.

Da viele Geflüchtete das Kirchenasyl entsprechend nicht verlassen, wirft das BAMF den Kirchen vor, das Kirchenasyl sei zu einer Art "Fristabsitzen" geworden. Denn nach der Dublin-Verordnung wird Deutschland nach sechs Monaten automatisch für das Asylverfahren eines Geflüchteten zuständig. Bleibt ein Geflüchteter also bis zum Ende dieser sechsmonatigen Frist im Kirchenasyl, kann er danach seinen Asylantrag in Deutschland stellen. Entsprechend müssten "mehr Asylanträge [...] im nationalen Verfahren entschieden werden", kritisiert das BAMF.

Dazu kommt: Das BAMF und die Kirchen haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein Härtefall ist. Das BAMF hält sich nach eigener Aussage streng an gesetzliche Vorgaben. Die Kirchen hingegen orientieren sich an humanitären Gründen.

Ein weiterer Streitpunkt: die Dossiers. In vielen Fällen, so das BAMF, enthalten die Unterlagen keine neuen Fakten, sondern wiederholen nur bekannte Argumente – zum Beispiel Kritik am Dublin-System oder schlimme Erfahrungen in dem EU-Land, in dem die Geflüchteten zum ersten Mal registriert wurden. Für das BAMF reicht das nicht, um den Fall neu zu bewerten. Die Kirchen aber fordern genau das – weil sie die erste Prüfung für ungenügend halten.

Wie geht es nach dem Kirchenasyl weiter?

Naels Kirchenasylanfrage hat David Geitner bewilligt. Er hält die Erzählungen für schlüssig. Nael darf in der Kirchengemeinde bleiben. Erkennt ihn auch das BAMF als Härtefall an und bekommt er einen positiven Bescheid oder läuft seine 6-monatige Frist ab, darf er – wie die meisten Menschen nach dem Kirchenasyl – seinen Asylantrag in Deutschland stellen und versuchen, hier ein neues Leben zu beginnen.

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