Eine Patientin wird schreiend in die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Fürth geschoben. Vor ihr humpelt eine blutende Frau durch den Gang, hinter ihr sitzt ein bleiches Kind auf einer Liege. Der Patientin Anja, 35 Jahre alt, fehlt ein Stück ihres rechten Beins.
Zumindest steht das so auf den Karten, die die Komparsen um den Hals hängen haben. Das Szenario der Übung, für das die 50 "Verletzten" am Samstagmorgen in die Notaufnahme kommen: Ein Flugzeug ist abgestürzt.
Großübung am Klinikum
Nun muss das Klinikpersonal beweisen, dass es die Notfall-Protokolle kennt und befolgen kann. Die Übung hat das Klinikum selber organisiert. "Generell gibt es solche Übungen viel zu selten", sagt Christian Forster, leitender Oberarzt der Zentralen Notaufnahme. Er hält sich diesmal im Hintergrund und sieht zu, wie seine Kolleginnen und Kollegen mit der Stresssituation umgehen. Die letzte derartige Übung sei Jahre her, sagt Forster. Der Grund: Das Ganze ist sehr planungsaufwändig und kostspielig.
Ehrenamtliche Helfer
Die Komparsen machen daher auch ehrenamtlich mit. Die Hälfte der Freiwilligen kommt von Jugendfeuerwehren aus dem Landkreis Fürth, die anderen machen eine Ausbildung als Pflegefachkraft beim Klinikum. Auch Anja ist Auszubildende. "Das ist schon spannend, das alles mal aus der Patientinnensicht zu erleben", sagt sie. Dann schiebt eine Pflegerin sie aus dem Schockraum in Richtung CT. Für Smalltalk ist keine Zeit.
Von der Individual- zur Massenbehandlung
Die große Herausforderung für das Personal: "Wir sind geübt darin, Patienten individuell zu behandeln. Weniger Übung haben wir in Situationen mit solchen Massen an Menschen", sagt Philipp Lechler, Leiter der Unfallchirurgie. In diesen Situationen werde es schnell stressig, die Ressourcen gingen schnell zur Neige. Das Personal muss entscheiden, wer schnell behandelt wird – und wer nicht. "Das lernen wir nur, wenn wir das immer wieder machen." Übungen wie diese werden in Zukunft immer wichtiger, glaubt Lechler. "Bislang stand die Individualmedizin absolut im Fokus". Das ändere sich gerade.
Krankenhäuser in der Pflicht
So schätzt auch das Bayerische Gesundheitsministerium die Situation ein. Eine Sprecherin erklärt auf BR-Anfrage: "Angesichts der sich ändernden Bedrohungslage müssen die Krankenhäuser wie auch das gesamte Gesundheitssystem nun zusätzliche neuartige Herausforderungen in den Blick nehmen." Daher hat das Gesundheitsministerium in diesem Jahr den "Expertenrat Gesundheitssicherheit" gegründet, der Risiken analysiere und Lösungen für Kriegsfälle vorschlage. Zudem sieht Bayerns Gesundheitsministerium auch den Bund in der Pflicht und fordert von ihm mehr einheitliche Strukturen und finanzielle Mittel.
Grundsätzlich sind laut Bayerischem Katastrophenschutzgesetz in erster Linie die Krankenhäuser dafür zuständig, sich gut auf Ernstfälle vorzubereiten und solche Katastrophenübungen zu organisieren. Für solche Übungen stelle das Ministerium gemeinsam mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst finanzielle Mittel in Höhe von zwei Millionen Euro zur Verfügung.
Personal ist "zu gut"
Das Klinikum Fürth hat die Übung im mittleren fünfstelligen Bereich diesmal aber selbst gezahlt. Bei der Übung sitzen im "grünen" Bereich viele Patienten, die nicht sofort medizinische Hilfe benötigen. Hier ist Evrim Güngör alleine für die Versorgung zuständig. Eigentlich hat das Planungsteam für ihn heute eine besondere Herausforderung vorgesehen: Ein Patient, der auf den ersten Blick keine schweren Beschwerden hat, sollte hier im Aufenthaltsbereich plötzlich umkippen. Güngör hätte dann schnell reagieren und einen Arzt holen müssen. "Das hat aber nicht geklappt", sagt Lisa Wisgrill, stellvertretende Teamleitung der Pflege in der Zentralen Notaufnahme. "Das Triage-Team hat den Patienten schon vorher rausgezogen und behandelt. Das hatten wir so nicht geplant. Aber das ist richtig gut!"
Nach etwa drei Stunden sind dann alle Patienten aufgenommen, versorgt und auf andere Stationen verteilt. Oberarzt Forster zieht eine erste, positive Bilanz. Kein Patient sei grob falsch behandelt worden, die Abläufe haben gut funktioniert. Wo es im Detail gehakt hat und wie man die Prozesse noch verbessern kann, will das Team in den nächsten Wochen betrachten. Doch schon jetzt hat die Übung laut Oberarzt Forster bei den Klinikmitarbeitern vor allem eins gebracht: Selbstvertrauen für den Ernstfall.
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