"Was können Sie konkret dagegen tun? Wie können Sie uns konkret helfen?" – zwei Fragen, mit denen Kerstin Winkel, freiberufliche Hebamme aus Nordrhein-Westfalen, den Bundeskanzler in der ARD-Sendung "Die Arena: Ihre Fragen an Friedrich Merz" am Montag kalt erwischt hat. Es geht um ein neues Gesetz für Hebammen, das vielen Betroffenen eher Probleme bereitet, statt zu helfen.
Der Kanzler verspricht, sich "drum zu kümmern." Das ist aus Sicht von bayerischen Hebammen auch notwendig. Seitdem der Hebammenhilfevertrag zum 1. November in Kraft getreten ist, beklagen Beleghebammen mehr Hürden als vorher.
Über zwei Drittel aller Hebammen in Bayern betroffen
Beleghebammen sind im Freistaat die Mehrheit. Das sind freiberufliche Hebammen, die in Krankenhäusern unterstützen, dort aber nicht festangestellt sind. Mehr als die Hälfte aller Geburten wird also in Bayern von freiberuflichen Beleghebammen begleitet. Ihr Anteil liegt im Freistaat bei 75 bis 80 Prozent - anders als in anderen Bundesländern. In ganz Deutschland machen Beleghebammen in der Geburtshilfe in Kliniken nur ein Fünftel aus.
"Locker 30 Prozent, eher 40 Prozent weniger"
Hebamme Kathrin Vogg aus Friedberg in Schwaben erklärt gegenüber BR24, dass sie durch den Vertrag deutlich weniger Gehalt bekomme. "Bei uns sind es locker 30 Prozent, eher 40 Prozent weniger. Wir dürfen ja keine Ambulanz mehr führen, wir dürfen ja gar nichts mehr abrechnen", sagt die Freiberuflerin. Mit dem neuen Vertrag bekommen Beleghebammen weniger Nachtdienstzuschlag, kein Geld mehr für akute Ambulanz-Leistungen und weniger Geld für die Parallel-Betreuung von Frauen. Auch der Bayerische Hebammenlandesverband bestätigt: Der neue Hebammenhilfevertrag könnte das Einkommen bis zu 30 Prozent schmälern.
Mehr Bürokratie erschwert den Alltag von Hebammen
Neben finanziellen Einbußen beschäftigt die Hebammen auch der Mehraufwand bei bürokratischen Aufgaben. Die Fragestellerin in der TV-Sendung, Kerstin Winkel, schildert das so: "Ich kann eine Frau am Telefon beraten, kann zehn Minuten mit ihr telefonieren, aber im Anschluss muss ich dann zu ihr fahren und mir dafür eine Unterschrift einholen. Das ist jetzt so aus dem Alltag mal ein kleines Beispiel, das zieht sich aber wie ein roter Faden durch den Vertrag." Eigentlich hatte sich die schwarz-rote Bundesregierung auf die Fahne geschrieben, Bürokratie abzubauen.
Neuer Vertrag soll Eins-zu-Eins-Betreuung stärken
Die gesetzliche Änderung ist der Versuch, die individuelle Betreuung von Schwangeren und Gebärenden zu stärken. Fokussierung auf eine Person. Wer mehrere Frauen gleichzeitig betreut, bekommt das geringer entlohnt. Laut der bayerischen Hebamme Kathrin Vogg wird die neue Regelung zum Problem: "Ich habe dann Verantwortung für vier Frauen. Krieg’ für die erste 80 Prozent, für die anderen zwei 30 und die letzte mach’ ich ganz umsonst. Also, das geht gar nicht. Macht ja keiner gern. Klar betreuen wir alle gern eins zu eins, aber wenn es mal brennt, dann will ich nicht die Vierte sein, ehrlich gesagt."
Vertrag könnte Hebammenmangel verschärfen
Umfragen zeigen: Viele Hebammen überlegen, ihren Beruf aufzugeben. Vogg beschreibt die Stimmung als "katastrophal". Drei Kolleginnen hätten bei ihr schon gekündigt. Jeder habe Angst und überlege, wie man alternativ arbeiten könne. Durch den neuen Hebammenhilfevertrag könnte sich also der Hebammenmangel verschärfen.
Merz: "Ich schaue mir die Sache an"
Nach der Publikumsfrage von Kerstin Winkel hatte Merz zugesagt, sich die Sache anzuschauen. Mittlerweile hat das Kanzleramt auch ein Schreiben von Winkel erreicht, in dem sie ihm die Situation nochmal schriftlich schildert. Er war laut ihrer Aussage nach der Sendung auf sie zugekommen und hatte sie darum gebeten. Nachdem der Ausschnitt der Show auch in den sozialen Netzwerken für Aufsehen gesorgt hat, sieht Winkel einen "Teilerfolg". Sie habe schon einen Funken mehr Hoffnung. Aufmerksamkeit sei da und der Kanzler habe das Thema jetzt auf dem Schirm.
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