Eine Hebamme tastet in ihrer Praxis den Bauch einer schwangeren Frau ab.
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Eine Hebamme tastet in ihrer Praxis den Bauch einer schwangeren Frau ab.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Annette Riedl
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Neues Vertragswerk: Kündigungswelle bei Hebammen droht

Neues Vertragswerk: Kündigungswelle bei Hebammen droht

Heute tritt der umstrittene Hebammenhilfevertrag in Kraft. Bundesweit rechnen Hebammenverbände deshalb mit einer Kündigungswelle von freiberuflichen Hebammen in Geburtskliniken. Sie fordern Nachverhandlungen, mehr Geld und weniger Bürokratie.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Lisa Dörner arbeitet am Klinikum Großhadern in München als freiberufliche Beleghebamme. Sie hat einen Vertrag mit der Klinik und arbeitet selbstverantwortlich in Zwölfstundenschichten im Kreißsaal. Ihre Leistungen rechnet sie direkt mit den Krankenkassen ab. Am 1. November tritt der neue Hebammenhilfevertrag (HBV) in Kraft, doch statt einer besseren Vergütung befürchtet Dörner jetzt finanzielle Verluste und mehr bürokratischen Aufwand: "Bei uns im Team haben bereits zwei Kolleginnen gekündigt, wegen des neuen Hebammenhilfevertrags."

Umfrage: Viele Beleghebammen denken ans Aufgeben

Kein Einzelfall: Laut aktueller Umfrage des Bayerischen Hebammen Landesverbands (BHLV) denkt rund ein Viertel der Beleghebammen daran, den Beruf aufzugeben oder hat bereits gekündigt. An 68 Kliniken mit Geburtshilfe, die an der Umfrage teilgenommen haben, arbeiten insgesamt 1.009 freiberufliche Hebammen. Die Hälfte der befragten Kliniken verzeichnet demnach direkte Auswirkungen der neuen Abrechnungsregelung.

Die BHLV-Vorsitzende Mechthild Hofner kritisiert: "Die Hebammen lieben ihren Beruf, doch es wird ein langsames Sterben der Beleghäuser stattfinden." 2026 rechnet sie mit gravierenden Auswirkungen. Im Sommer hatten freiberuflich tätige Hebammen verschiedener Kliniken in Bayern typischen Arbeitswochen als "Testwochen" nach den neuen Regelungen abgerechnet. Das Ergebnis: Im Vergleich zur bisherigen Vergütungspraxis droht demnach ein Verlust von bis zu 30 Prozent.

GKV-Spitzenverband ist offen für Gespräche

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) verteidigt den neuen Hebammenhilfevertrags dagegen als Fortschritt. Das gemeinsame Ziel jahrelanger Verhandlungen zwischen GKV und insgesamt drei Hebammenverbänden sei die Verbesserung der Geburtshilfe gewesen und dafür die 1:1-Betreuung zu fördern. GKV-Sprecher Florian Lanz erklärt im BR-Interview: "Die wichtigste und zentrale Errungenschaft des neuen Vertrags ist die 1:1-Betreuung, also auf jede Frau unter der Geburt kommt eine Hebamme. Deswegen ändert sich die Vergütungsstruktur."

Der normale Stundenlohn steigt laut neuem Vertrag von 41 auf 59 Euro, unter der Geburt im Kreißsaal wird die Vergütung verdoppelt auf über 80 Euro. Dies entspreche nicht nur dem Wunsch von Frauen, die ein Kind auf die Welt bringen. Der mehrfache Wechsel zwischen den Gebärenden bedeute auch Stress für die Hebammen. Weil der Deutsche Hebammenverband e.V. die Verhandlung im Frühjahr 2025 verlassen habe, gelte nun ein für alle Seiten rechtlich verbindlicher Schiedsspruch – aber: "Es genügt ein Anruf des deutschen Hebammenverbandes. Wir sind selbstverständlich jederzeit gerne bereit, uns über Verbesserung zu verständigen", betont Lanz. Er räumt ein, eine finanzielle Verschlechterung der Vergütung sei tatsächlich vorgesehen für den Fall, dass eine Beleghebamme parallel drei und mehr Frauen versorge, denn das wolle "wirklich niemand". Der Hebammenhilfevertrag solle zudem 2026 überprüft werden.

System der Geburtshilfe steht finanziell infrage

"Es ist eine Zerreißprobe, die Stimmung reicht von einem großen Fragezeichen: Wie sollen wir die Vorgaben überhaupt umsetzen, bis hin zu Verzweiflung", erklärt Elisabeth Hagelstein, Beleghebamme am Krankenhaus Agatharied. Die Geburtshilfe sei in ihrem Krankenhaus sehr gut aufgestellt. Keine Hebamme im Team plane aktuell zu kündigen, dennoch sei die Verunsicherung groß. So könne sie jetzt nur noch Leistungen abrechnen, die im Zusammenhang mit einer Geburt stehen. Doch im Kreißsaal gibt es viele weitere teils auch organisatorische Aufgaben, etwa die ambulante Versorgung von Schwangeren mit unklaren Beschwerden. Für Mehrfachbetreuungen sinkt die Vergütung, dabei sind sie bislang die Regel im Kreißsaal. Der Hauptgrund: Natürliche Geburten sind nicht planbar. Damit ist für die Hebammen unkalkulierbar, ob oder wie viele Frauen im Kreißsaal in einer Schicht entbinden oder akute Hilfe benötigen.

Dieser Kritik schließt sich auch die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) an (externer Link): Die Neuregelung berge erhebliche Probleme bei der Qualität der Versorgung von Patientinnen. "Die ambulante Betreuung von Schwangeren mit risikobehafteten Beschwerden, wie etwa Ausschluss einer Schwangerschaftsvergiftung, Frühgeburtsbestrebungen oder unklarer Blutungen in der Schwangerschaft, ist ohne Hebammenbetreuung organisatorisch und medizinisch schwer zu gewährleisten. Eine vollständige Verlagerung dieser Aufgaben auf die ärztlichen Dienste ist nicht praktikabel und birgt Risiken für die Patientensicherheit." Eine stationäre Aufnahme aller Patientinnen in der Klinik sei ebenso wenig realistisch wie eine unentgeltliche ambulante Betreuung durch die Hebammen, so die DGGG. Auch bestehen Haftungsfragen. Das bewährte Prinzip des von Hebammen organisierten Kreißsaals unterstützten deshalb auch die Fraktionen im Bayerischen Landtag, betont Mechthild Hofner vom BHLV.

Hebammen hoffen auf Nachbesserung des Vertrags

Laut Hofner ist es unrealistisch, an allen Kliniken genug Hebammen vor Ort zu haben, die rund um die Uhr eine 1:1-Betreuung garantieren. Sie fordert deshalb eine grundsätzlich höhere Vergütung: Denn Beleghebammen erhalten nur 80 Prozent der neuen Vergütungssätze. 100 Prozent erhalten beispielsweise Hebammen in Geburtshäusern, weil sie zusätzliche Kosten für Material und Räume tragen.

Beleghebamme Lisa Dörner: "Bisher konnten wir parallel zwei Frauen betreuen und bekamen dafür dasselbe Geld, jetzt erhalten wir für die erste Frau nur noch 80 Prozent der neuen Sätze, für die zweite Frau 30 Prozent. Betreuen wir im Notfall auch eine dritte Frau für eine Stunde, bekommen wir wieder nur 30 Prozent, bei gleicher Verantwortung für alle. Das können wir nicht verstehen. Alles wird teurer, die Haftpflichtversicherung kostet schon jetzt 10.000 Euro und dann erwarten wir weniger Einkünfte." Sie hofft jetzt auf zügige Nachverhandlungen. Für die beiden ausscheidenden Hebammen im Kreißsaal am Klinikum Großhadern hat ihr Team inzwischen Ersatz gefunden.

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