Archivbild: Alice und Ellen Kessler in Grünwald
Archivbild: Alice und Ellen Kessler in Grünwald
Bild
Archivbild: Alice und Ellen Kessler in Grünwald
Bildrechte: picture alliance / SZ Photo | Claus Schunk
Schlagwörter
Bildrechte: picture alliance / SZ Photo | Claus Schunk
Videobeitrag

Archivbild: Alice und Ellen Kessler in Grünwald

Aktualisiert am
Videobeitrag
Erschien zuerst am
>

Tod der Kessler-Zwillinge: Was "assistierter Suizid" bedeutet

Tod der Kessler-Zwillinge: Was "assistierter Suizid" bedeutet

Gemeinsam im Leben und im Tod: Die Kessler-Zwillinge haben für ihr Sterben daheim in Grünwald den assistierten Suizid gewählt. Nun wird diskutiert, wie ein juristischer Rahmen aussehen kann – zwischen selbstbestimmtem Ende und Sorge vor Missbrauch.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die berühmten Kessler-Zwillinge Alice und Ellen sind am Montag im Alter von 89 Jahren in Grünwald bei München gestorben. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) bestätigte dem BR, dass es sich um einen "assistierten Suizid" gehandelt habe. "Auf Wiedersehen, ihr Lieben! Wir sehen uns wieder auf Wolke 7", heißt es in einem Abschiedsbrief der Kessler-Zwillinge, aus dem der "Münchner Merkur" (externer Link) zitiert.

Was versteht man unter Beihilfe zum Suizid? Und wie ist die Gesetzeslage in Deutschland? Darüber haben wir mit Prof. Dieter Birnbacher, dem Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) sowie BR-Journalistin Elisabeth Möst, die vielfach zu diesem Thema recherchiert und berichtet hat, gesprochen. Das Video zum Livestream finden Sie oben eingebettet über diesem Artikel.

Krankheiten wohl Hintergrund für Freitod der Kessler-Zwillinge

Laut ihrer Freundin Carolin Reiber waren offenbar Krankheiten der Hintergrund für ihren gemeinsamen Freitod. Die Rede ist von Herzproblemen und dem Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn bei den Zwillingen sowie einem Schlaganfall von Ellen Kessler.

Durch den prominenten Fall wird das Thema assistierter Suizid in der Öffentlichkeit wieder kontrovers diskutiert. Den Wunsch nach begleiteter Sterbehilfe äußern nicht nur todkranke Patienten, sondern auch Menschen, die unter Depressionen leiden oder sich als lebenssatt bezeichnen.

Der Konflikt dreht sich darum, ob Sterbehilfevereine und Ärzte Suizidbeihilfe kommerziell, organisiert und wiederholt anbieten dürfen. Der Bundestag stellte das ab 2015 unter Strafe. Diese Regelung kippte das Bundesverfassungsgericht 2020 wieder und ließ damit grundsätzlich die Tätigkeit von Sterbehilfe-Vereinen zu. In der Folge wurden mehrmals parteiübergreifende Gesetzentwürfe in den Bundestag eingebracht – bisher gab es aber keine Mehrheit.

Vier-Augen-Prinzip, Wartezeit und Motivdokumentation

Dass Sterbehilfeorganisationen und Ärzte heute nach selbst auferlegten Regeln handeln, kritisiert die Münchner Palliativmedizinerin Professor Johanna Anneser im Gespräch mit dem BR. Sie fordert deshalb von der Politik, einen klaren gesetzlichen Rahmen festzulegen. "Dazu gehört sicherlich ein Vier-Augen-Prinzip, also dass nicht ein Arzt allein entscheidet, sondern dass je nach der Konstellation ein Arzt, Sozialarbeiter oder Psychologe hinzugezogen wird, dass es eine sinnvolle Regelung für Wartezeiten gibt und, dass man genau dokumentiert, was die Motive der Menschen sind."

Die Erfassung von Motiven, die bisher nicht stattfindet, wäre langfristig ein wichtiger Baustein für die Suizidprävention. Auch ein von vielen gefordertes Suizidpräventionsgesetz gibt es bisher nicht. Angesichts von rund 10.000 Suizidfälle pro Jahr in Deutschland müsse die Politik mehr dafür tun, um Menschen mit Suizidgedanken zu helfen, aber auch um Angehörige zu unterstützen, fordert etwa der katholische Theologe und Mitglied des Deutschen Ethikrates, Jochen Sautermeister.

Forderung auch nach mehr Suizidprävention

Trotzdem betont die Palliativmedizinerin, dass ein Suizidpräventionsgesetz kein Suizidverhinderungsgesetz werden dürfe: "Es ist wichtig, dass man mit den Menschen, die Suizidwünsche äußern, ins Gespräch geht. Fragt, was bringt diese Menschen dazu, dass man sie kompetent und ausführlich berät und aufzeigt, welche Alternativen es gäbe", sagt Anneser.

Die Palliativmedizinerin berichtet, dass sie selbst auch schon Patienten behandelt habe, die sie bei einem assistierten Suizid unterstützt hätte. "Das waren Menschen, die das gut begründen konnten. Das war wohl überlegt, eingebettet in deren Wertvorstellungen und Lebensläufe. Das waren Menschen, die das sehr genau besprochen hatten, nicht nur mit mir als Ärztin, sondern auch mit ihrer Familie."

"Tötung auf Verlangen" oder "Beihilfe zum Suizid"?

Bei dem Thema muss unterschieden werden zwischen "Tötung auf Verlangen" und "Beihilfe zum Suizid". "Töten auf Verlangen" ist strafbar. Dabei wird die Handlung, die zum Tod führt, beispielsweise die Gabe eines tödlichen Medikaments, von einer anderen Person ausgeführt. Von "Beihilfe zum Suizid" spricht man, wenn eine Person ein Medikament für eine andere Person besorgt, die sich dann damit selbst das Leben nimmt.

Entscheidend ist, dass die letzte, todbringende Handlung immer vom Betroffenen selbst vorgenommen wird. Die Entscheidung muss aus freien Stücken getroffen werden, also ohne Überredung, Druck oder psychische Störungen.

Politik müsse "unregulierten Zustand" beenden

Oliver Tolmein, Fachanwalt für Medizinrecht, kritisiert eine zunehmende Vermarktung. Die Zahl der assistierten Suizide habe sich seit 2020 verzehnfacht. Unternehmen und Gesellschaften, die assistierten Suizid anbieten, verlangen teilweise eine hohe vierstellige Summe.

In einem gesellschaftlichen Klima, in dem der Suizid kein Tabu mehr sei, könnten alte und kranke Menschen unter Druck geraten, weil sie ihren Angehörigen finanziell und pflegerisch nicht zur Last fallen wollten, befürchtet Tolmein.

Der Bayerische Rundfunk berichtet – vor allem wegen möglicher Nachahmer-Effekte – in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer die zuständige Redaktion sieht es durch die Umstände der Tat geboten. Sollten Sie selbst Hilfe benötigen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Beratung erhalten Sie unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222. Weitere Hilfsangebote gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention.

Mit Informationen von KNA und epd

Hände
Bildrechte: BR
Videobeitrag

Hände

Im Video: Die Rechtslage bei der Sterbehilfe

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!