Ob Tatverdächtige oder Opfer – Bayerns Polizei muss seit 1. Oktober in Pressemitteilungen jeweils auch deren Nationalität erwähnen. "Klare Botschaft: Wir nennen neben Alter und Geschlecht auch die Staatsangehörigkeit", sagt Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im BR-Interview.
Das Innenministerium begründet die Anordnung laut dpa mit der "zunehmenden Aufmerksamkeit für das Thema", der "Diskussion über die Nationalität von Tatverdächtigen in den sozialen Medien" und dem Vorwurf, dass die Nationalität "verheimlicht werde". Das Ministerium wolle eine "sachliche Meinungsbildung in der Öffentlichkeit" ermöglichen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Debatte.
Wie argumentiert Minister Herrmann?
Für Innenminister Herrmann gehört die Nennung der Nationalität "natürlich schon auch zu einer ehrlichen Information der Öffentlichkeit". Es habe immer wieder Nachfragen nach der Nationalität gegeben. Zuweilen sei spekuliert worden, ob Verdächtige Ausländer seien, auch wenn es sich um Deutsche gehandelt habe. Die neue Regelung sei transparent.
Unterstützung bekommt der Minister von der Deutschen Polizeigewerkschaft. "Umfangreiche und auch offene Angaben, die verhindern eben Spekulationen", sagt der Landesvorsitzende Jürgen Köhnlein dem BR. Die Nationalität sei ein sachlicher Fakt. "Und Fakten gehören in jede seriöse Polizeimeldung." Wer umfassend informiere, gewinne Vertrauen – durch Transparenz.
Prescht Bayern vor?
Nein, der Freistaat ist nicht das erste Land, das auf Nennung der Nationalität in Polizei-Pressemeldungen setzt. Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen machen das seit Jahren. Neuerdings auch Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.
Was bemängeln Kritiker?
Laut der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns, Mitra Sharifi, führt die Angabe der Nationalität zu einer "Ethnisierung der Straftaten". Dies leiste Rassismus Vorschub und führe zur Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen. "Das ist Gift für eine Gesellschaft, die von Migration geprägt ist, Migration braucht und auch in der Zukunft mit ethnischer Vielfalt leben muss."
Der Deutsche Presserat ist besorgt: "Eine routinemäßige Nennung der Nationalität birgt die Gefahr, Vorurteile gegen ganze Gruppen wegen des vermuteten oder erwiesenen Fehlverhaltens Einzelner zu entwickeln oder zu verstärken." Redaktionen müssten weiter sorgfältig abwägen.
Auch der Chef des Deutschen Journalistenverbands, Mika Beuster, warnt auf BR-Anfrage vor der Gefahr, dass Vorurteile weiter geschürt werden. "Wir haben die Journalistinnen und Journalisten dazu aufgerufen, sehr verantwortungsvoll mit dem Thema umzugehen." Die Nationalität von Tatverdächtigen solle nur dann genannt werden, "wenn sie in Zusammenhang mit der Tat steht".
Wie reagieren andere Parteien?
Beim Koalitionspartner stößt die Entscheidung des CSU-Ministers auf Zustimmung. "Die aktive Nennung der Nationalität von Tatverdächtigen trägt dazu bei, Spekulationen in sozialen Medien und Vorwürfen angeblicher Vertuschung den Nährboden zu entziehen", argumentiert Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl. Journalisten müssten dann verantwortungsvoll entscheiden, "ob und wie sie diese Angaben veröffentlichen".
Die AfD-Fraktion fühlt sich bestätigt: Herrmann setze eine langjährige AfD-Forderung um, sagt AfD-Innenexperte Richard Graupner. Die Nennung der Nationalität sei ein wesentlicher Gesichtspunkt mit Blick auf die Kriminalitätsbelastung. Die AfD fordere, zudem auch einen Migrationshintergrund auszuweisen.
Dagegen beklagt Grünen-Innenexperte Florian Siekmann, der Innenminister liefere leichtfertig Material für Empörungsspiralen in rechtsextremen Kanälen. Die Nationalität sei nicht Auslöser von Straftaten. Wer Ursachen beleuchten wolle, müsse über die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe von Tatverdächtigen sprechen. Ähnlich reagiert seine SPD-Kollegin Christiane Feichtmeier: In den meisten Fällen sei die Herkunft unerheblich. "Mord bleibt Mord, egal welchen Pass jemand hat."
Was gilt für Journalisten?
Der Pressekodex (externer Link) des Deutschen Presserats legt fest, dass niemand wegen seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe diskriminiert werden darf. Bei der Berichterstattung über Straftaten solle die Erwähnung der Gruppenzugehörigkeit von Verdächtigen "nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens" führen.
Laut Presserat sollte die Zugehörigkeit zu Minderheiten nur erwähnt werden, wenn "ein begründetes öffentliches Interesse" besteht – beispielsweise bei Terrorismus, organisierter Kriminalität oder Ereignissen wie der Kölner Silvesternacht. Redaktionen müssten in jedem Einzelfall verantwortungsbewusst entscheiden, reine Neugier sei kein Maßstab. Auch die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit durch Behörden entbinde Redaktionen nicht von ihrer presseethischen Verantwortung.
Dieser Artikel ist erstmals am 6. Oktober 2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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