Werden die Eckpfeiler US-amerikanischer Demokratie gerade demontiert? Von einer "Autokratisierung des Staates" unter Donald Trump spricht der Extremismusexperte Philipp Adorf: "Wir sehen schon, dass wir hier einen starken Mann haben, der die Macht an sich reißt, der ein System der Checks and Balances in vielerlei Hinsicht ausgehebelt hat."
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Das traditionelle System der Gewaltenteilung – Legislative, Exekutive und Judikative kontrollieren einander – funktioniere nur mehr eingeschränkt: Der Kongress agiere weitgehend passiv. Der Supreme Court weist Trump laut Adorf selten in die Schranken. Der Politikwissenschaftler sagt im BR24-Interview für das neue "Possoch klärt" (Video oben, Link unten), dass die USA inzwischen eine "Semi-Autokratie" seien: Also ein Zwischenstadium zwischen Demokratie und Autokratie, in dem zwar demokratische Standards noch existieren, aber zunehmend ausgehöhlt werden.
"Republikaner überholen die AfD rechts"
Ein wichtiges Element der Autokratisierung: die Verschiebung des politischen Diskurses. Die Republikanische Partei hat sich deutlich nach rechts bewegt, analysiert Adorf. Eine Tendenz, die sich nicht mehr auf die Person Trump reduzieren lasse:
"Je rassistischer die republikanische Partei geworden ist in den letzten Jahren, desto offener ist sie auch geworden für eine Art der Politik, die die Position der weißen Bevölkerungsmehrheit in der Hierarchie des Landes festigen, bewahren oder vielleicht wieder ausbauen soll." Philipp Adorf, Extremismusforscher
Führende politische Hardliner wie Stephen Miller, stellvertretender Stabschef im Weißen Haus und einer der Architekten hinter der "Make America Great Again"-Bewegung (MAGA), befördern diese Entwicklung und vertreten Positionen, die auf eine ethnisch definierte nationale Identität setzen. Hinzu komme eine offen rassistische Rhetorik in der Republikanischen Partei, die laut Adorf "Meloni und Le Pen und in Teilen auch die AfD noch mal rechts überholt" hat.
Sowohl in eigenen als auch für Trump verfassten Reden nutzt Miller dabei Rhetorik, die in ihrer Radikalität an Nazi-Sprech erinnert: Wurden etwa bestimmte Standpunkte früher hinter codierter Sprache – den sogenannten Dog Whistles – versteckt, spricht man sie, so Adorf, nun offen aus.
Wie viel Nazi-Ideologie steckt in Trumps USA? Possoch klärt!
Der entscheidende Unterschied zu 1933
Obwohl historische Parallelen zum Nationalsozialismus gezogen werden, sagt der Historiker Magnus Brechtken, der fundamentale Unterschied zu Deutschland 1933 liege in der Resilienz der USA: "In Deutschland gab es in den 1930er-Jahren keine funktionierenden Gegeninstitutionen, die als Machtresiduen in der Lage waren, sich gegen diese Übergriffe der Nationalsozialisten zur Wehr zu setzen."
In den USA existieren diese Schutzmechanismen noch – zumindest teilweise, sagt Adorf. Der Föderalismus sei dabei eine wichtige Barriere und verleihe Einzelstaaten erhebliche Eigenständigkeit: Demokratische Gouverneure etwa positionieren sich laut Adorf klar gegen Trump und nutzen ihre verfassungsmäßigen Möglichkeiten. Zudem gebe es eine aktive Zivilgesellschaft – Demonstrationen finden statt, kritische Medien berichten trotz zahlreicher Versuche der Einschränkungen und Beschneidungen. In Umfragen bleibt Trump bei weiten Teilen der Bevölkerung unpopulär. Zuletzt demonstrierten im Rahmen der "No Kings"-Proteste in den USA Tausende gegen den Führungsstil der Regierung und Trump.
"Nur die Republikaner können den Demokratieabbau stoppen"
Dennoch erkennen die Experten einen schleichenden Prozess des Demokratieabbaus: Universitäten würden unter politischen Druck gesetzt, Minderheitenrechte eingeschränkt, Verwaltungsstrukturen umgebaut. Der Harvard-Professor Daniel Ziblatt beschrieb die Gefahr eines "kompetitiven Autoritarismus" – ein System, in dem demokratische Institutionen formal bestehen bleiben, aber systematisch ihrer Kontrollfunktion beraubt werden.
Adorf analysiert: "Dieser Prozess des 'Democratic Backsliding' kann eigentlich nur gestoppt werden, wenn Republikaner selbst dort intervenieren." Innerparteilicher Widerstand sei jedoch kaum vorhanden. Die Unterstützung für Trumps Politik in der republikanischen Wählerbasis bleibt hoch.
"Trump muss Wohlstand liefern"
Brechtken sieht eine andere Möglichkeit, die zunehmende Autokratisierung aufzuhalten. Wenn die MAGA-Vertreter und Donald Trump nicht die versprochene "individuelle Freiheit und ökonomische Prosperität" lieferten, könnten sich Wähler abwenden und den aktuellen Kurs abstrafen. Denn die USA seien grundsätzlich eine "offene kapitalistische Can-Do-Gesellschaft" – autoritäres Durchregieren widerspreche dieser Tradition.
Fazit: Nicht 1933, aber "autoritäre Transformation"
Sowohl der Extremismusforscher Adorf als auch der Historiker Brechtken sind sich darin einig, dass ein oft gezogener Vergleich mit Deutschland 1933 nicht passt. Aber auch darin, dass die demokratischen Institutionen der USA sich gegen die weitere autoritäre Transformation beweisen müssen.
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