In Nürnberg ist Prostitution ein besonders großes Thema. Denn: Die Gasse an der Frauentormauer zählt zu den ältesten und bekanntesten Rotlichtvierteln Deutschlands. Hier reiht sich Bordell an Bordell - mitten in der Innenstadt. An den Schaufenstern sitzen Frauen und locken Männer nach innen. Im Minutentakt fahren Streifenwagen der Polizei durch die schmale Gasse.
Zwischen Zuhälterei und Freiwilligkeit
Prostitution bewegt sich zwischen Zuhälterei, Menschenhandel - und Freiwilligkeit. In Mittelfranken prostituieren sich laut der Polizei täglich etwa 1.000 Frauen. Obwohl sich an der Frauentormauer viele Bordelle finden, spielen diese mittlerweile nur noch eine Nebenrolle. Knapp 30 Bordelle und Clubs gibt es laut der Polizei in ganz Mittelfranken. Eine viel größere Rolle spielen Privat- und Ferienwohnungen und Hotelzimmer.
Zwei Vereine mit zwei unterschiedlichen Ansätzen und Zielen
Prostitution abschaffen oder in der Gesellschaft normalisieren? Über diese Frage wird seit Jahren diskutiert - auch in Nürnberg. Hier gibt es zwei Vereine, die sich für Prostituierte einsetzen - jedoch mit Ansätzen und Zielen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gegenüber stehen sich Kassandra e.V. und SISTERS e.V. Seit 1987 setzt sich Kassandra für die Rechte von Prostituierten, deren Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigen und die gesellschaftliche Anerkennung von Prostituierten ein. Auch SISTERS - die Ortsgruppe Nürnberg gründete sich im Dezember 2024 - unterstützt Prostituierte, allerdings mit dem Grundgedanken, den Frauen Ausstiegshilfen aus der Prostitution und neue Perspektiven zu bieten.
Sollte das System der Prostitution in Deutschland verändert werden?
Zwei Vereine mit zwei unterschiedlichen Auffassungen zu Prostitution - in einer Stadt. "Es gibt viele aufsuchende Vereine oder Beratungsstellen, die die Frauen retten möchten. Aber die Frauen wollen einfach nur Geld verdienen und nicht gerettet werden", sagt Konstantin Dellbrügge, selbst Sexarbeiter in Nürnberg und Vorstand von Kassandra. Vivien Allroggen, Ex-Prostituierte und heute ehrenamtlich bei SISTERS tätig, sieht das anders: "Es ist nicht normal, dass sich Männer einen Zugang zu einem Körper kaufen können. Frauen, die sich freiwillig prostituieren, sind eindeutig die Minderheit."
SISTERS fordert das nordische Modell
Konkret fordert der Verein SISTERS das sogenannte Nordische Modell. Das bedeutet konkret: Frauen dürfen sich weiterhin prostituieren, werden im Gegensatz zu den Freiern aber nicht bestraft. "Einfach aus dem Grund, dass sich maximal zehn Prozent der Frauen freiwillig prostituieren", so SISTERS-Ortsgruppensprecherin Nia (Pseudonym).
Grafik: Das Nordische Modell
In Schweden gibt es das Nordische Modell bereits seit 1999. Laut des Bundesverbands Nordisches Modell ist die Prostitutionsrate dadurch gesunken.
Neben der Prostitutionsrate gingen in Schweden laut dem Bundesverband Nordisches Modell auch Straftaten, Zuhälterei und Menschenhandel zurück. In Deutschland hingegen sieht die Realität anders aus. "Wir wissen, dass wir nur an der Oberfläche kratzen, was die Themen Menschenhandel und Zwangsprostitution angehen. Es ist ein Straftatbestand, der schwer nachzuweisen ist", so Hartmut Luther, Kriminalhauptkommissar der Polizei Mittelfranken.
Kassandra will Bedingungen der Prostituierten verbessern
Die Polizei geht von einer hohen Dunkelziffer im Bereich der Zuhälterei und des Menschenhandels aus. Was sie weiß: Nur etwa drei Prozent der Prostituierten haben einen deutschen Pass, etwa die Hälfte kommt aus Rumänien. Die Schattenseiten kennt auch Kassandra, will das System, so wie es jetzt ist, aber beibehalten: "Wir möchten einfach die Lebensbedingungen von Menschen in der Sexarbeit verbessern. Es ist eine Arbeit und die verdient Respekt", fordert Sara Seubert, Sozialpädagogin bei Kassandra.
Im Video: Sex gegen Geld: Prostitution normalisieren oder abschaffen?
Themenbild "Prostitution in Nürnberg"
Prostitution oft als einziger Ausweg
Gezwungen wurde auch Vivien nie. Die 28-Jährige kommt aus Nordrhein-Westfalen und redet mittlerweile offen über ihre Geschichte. Sie wollte während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres zusätzlich Geld verdienen. Irgendwann häuften sich bei ihr aber negative Erfahrungen. Denn: Eine scheinbare Alternativlosigkeit ebnet für viele Frauen den Weg in die Prostitution: "Es ist schwierig, jemandem davon abzuraten. Weil in diesem Moment kann man sich selbst gar nicht so hinterfragen und macht es dann halt vielleicht auch einfach."
Eine Stadt, zwei Ansichten. Denn während Kassandra für mehr Anerkennung von Sexarbeit in der Gesellschaft kämpft, will SISTERS Prostituierten vor allem beim Ausstieg helfen.
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