Eine Frau in wasserfesten Hosen läuft durch braunes Hochwasser, im Hintergrund ein Haus.
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Datenanalyse: So viel baut Bayern in Überschwemmungsgebieten

Datenanalyse: So viel baut Bayern in Überschwemmungsgebieten

Trotz Überschwemmungs-Risiko wird in Bayern vielerorts in hochwassergefährdeten Gebieten gebaut. Das zeigt eine Datenauswertung des BR. Möglich wird das durch Ausnahmegenehmigungen – die tausendfach erteilt werden.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Es nieselt, als die Initiative "Hauser Weg" sich in Markt Schwaben trifft, um ein großes Plakat an einem Schuppen anzubringen. Darauf steht: "Für den Erhalt der Grünfläche am Hauser Weg". 620 Menschen haben zu diesem Zeitpunkt die Petition bereits unterschrieben. Mehrere Wohnungen und ein Seniorenzentrum sollen nach Plänen des Grundstückseigentümers auf der Wiese entstehen.

Sabine Hertel hat die Bürgerinitiative mitgegründet. Sie will erreichen, dass die Wiese direkt gegenüber unbebaut bleibt – zum Schutz vor einem Hochwasser, wie im vergangenen Jahr: "Letztes Jahr im Juni hatten wir einen halben Meter Wasser hier stehen, weil das einfach der tiefste Punkt der Umgebung ist." Die Mitglieder der Bürgerinitiative fürchten, dass eine Bebauung den Hochwasserschutz verschlechtert.

Grundstück im Überschwemmungsgebiet

Daten des Bayerischen Landesamtes für Umwelt bestätigen die Befürchtungen der Bürgerinitiative: Derzeit sind weite Teile des Gebiets ein amtlich festgesetztes Überschwemmungsgebiet. Das bedeutet: Ein sogenanntes Jahrhundert-Hochwasser würde diese Flächen überfluten.

Tausende Ausnahmen in ganz Bayern

Grundsätzlich gilt: In Überschwemmungsgebieten darf nicht gebaut werden. Allerdings sind Ausnahmen möglich. So kann zum Beispiel bei bestehender Bebauung nachverdichtet werden, wenn der Hochwasserschutz dadurch nicht beeinträchtigt wird.

Ausnahmen müssen von den Bauherren beantragt – und von den Kommunen genehmigt werden. In Bayern gab es in den vergangenen fünf Jahren rund 3.500 solcher Ausnahmegenehmigungen. Das hat eine Abfrage von BR Data und dem BR-Politikmagazin Kontrovers bei den Regierungsbezirken ergeben.

Interaktive Karte: Ausnahmegenehmigungen in den Landkreisen und kreisfreien Städten

Besonders viele Ausnahmegenehmigungen wurden in den Landkreisen Fürstenfeldbruck, Rottal-Inn, Straubing-Bogen und Deggendorf erteilt. Dort wurden jeweils über 200 Ausnahmen genehmigt. Zur Begründung heißt es auf eine Anfrage des BR: Die Kreise hätten im Vergleich zu anderen besonders viele Überschwemmungsgebiete. Der Hochwasserschutz würde nicht leiden: Bauherren müssten Auflagen erfüllen, um eine Genehmigung zu bekommen.

Thomas Karmesin, Landrat von Fürstenfeldbruck und Präsident des Bayerischen Landkreistages, erklärt dazu im Kontrovers-Interview: Sein Landkreis sei ein sehr verdichteter, gerade in der östlichen Region. "Wir haben viele kleine Gewässer, kleine Flüsschen, kleine Bäche, wo eigentlich der Hochwasserschutz auch greift, wo aber (…) auch die sogenannte Nachverdichtung zum Einsatz kommt – und das ist in Fürstenfeldbruck häufig der Fall."

Nachverdichtung bedeutet: freistehende Flächen nutzen, Baulücken schließen, um etwa mehr Wohnraum zu schaffen. Gleichwohl räumt Thomas Karmesin (CSU) ein: Die bloße Zahl von 200 Ausnahmegenehmigungen habe ihn überrascht, beteiligt sei er an keiner einzigen davon gewesen.

Landrat: Ausnahmegenehmigungen beeinträchtigen Hochwasserschutz nicht

Aus den anderen Landkreisen mit einer Vielzahl an Ausnahmegenehmigungen heißt es: Sie hätten im Vergleich zu anderen Landkreisen besonders viele Überschwemmungsgebiete. Der Hochwasserschutz würde nicht leiden: Bauherren müssten Auflagen erfüllen, um eine Genehmigung zu bekommen.

Der Landkreis Rottal-Inn teilt beispielsweise mit: "Letztendlich entscheiden sich die bauwilligen Bürger, aus welchen Gründen auch immer, bewusst dafür, ihre Vorhaben im Überschwemmungsgebiet zu verwirklichen. Im Rahmen der gesetzlichen Beschränkungen ist dies eine Frage der bürgerlichen Handlungsfreiheit."

Laut Karmesin stünden Ausnahmegenehmigungen dem Hochwasserschutz nicht im Weg, im Gegenteil: "Das Gesetz regelt ausdrücklich, dass sie überhaupt nur erteilt werden dürfen, wenn sie den Hochwasserschutz nicht beeinträchtigen."

Vermeidung als Strategie

Technischer Hochwasserschutz sei hilfreich, hebt Prof. Wolfgang Rieger hervor. Der Ingenieur lehrt an der Technischen Hochschule Deggendorf Wasserbau und Wasserwirtschaft. Rieger sagt: "Grundsätzlich ist es immer geschickt, die Vermeidungsstrategie zu wählen. Wenn ich mich der Gefahr gar nicht aussetze, dann bin ich auch keinem Risiko unterlegen, dass mir eventuell im Hochwasserfall doch etwas passiert." Insbesondere durch den Klimawandel sei verstärkt mit Hochwasser- und Starkregenereignissen zu rechnen, auf die sich Gemeinden, aber auch die Hausbesitzer selbst vorbereiten müssen.

Eine zweite Analyse von BR Data zeigt, dass in immer mehr Überschwemmungsgebieten Bayerns entweder nachverdichtet wird oder sogar bislang unbebaute Gebiete bebaut werden. Das geht aus Zahlen des Leibniz-Instituts für Ökologische Raumentwicklung hervor. Insgesamt stieg die durchschnittliche Bebauungsdichte in Überschwemmungsgebieten zwischen 2006 und 2023 um zwölf Prozent.

Grafik: Bebauung in Überschwemmungsgebieten

Wohnungsknappheit gegen Hochwasserschutz

Kommunalpolitiker müssen immer wieder abwägen, auch Walentina Dahms, Erste Bürgermeisterin in Markt Schwaben: "Wir brauchen neue Plätze im Seniorenheim und gleichzeitig ist es mir wichtig, den Grünzug durch den Ort zu erhalten."

Derzeit wird deshalb im Auftrag der Gemeinde geprüft, was passiert, wenn der Hennigbach, der an dem Grundstück entlang fließt, renaturiert wird. Der Grundstückseigentümer geht davon aus, dass das Überschwemmungsgebiet dann verkleinert werden kann. Das wäre die einzige Chance auf eine Baugenehmigung. Denn die Bürgermeisterin verspricht: Eine Ausnahmegenehmigung wird die Gemeinde nicht erteilen.

Thomas Karmasin (CSU) im Kontrovers-Interview
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Thomas Karmasin (CSU) im Kontrovers-Interview

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