Es hätte einer der "künstlerischen Höhepunkte" des Flanders Festival Ghent werden sollen. Trotzdem sagten die Organisatoren das Konzert der Münchner Philharmoniker mit dem israelischen Dirigenten Lahav Shani ab, aus politischen Gründen: Zwar habe sich Shani mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen, teilten sie mit. Aber angesichts seiner Tätigkeit als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra sei das Festival "nicht in der Lage, ausreichend Klarheit über seine Haltung zum genozidalen Regime in Tel Aviv zu schaffen". Das Konzert war für 18. September geplant.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bezeichnet die Entscheidung als "unerträglich". Kunst solle verbinden und nicht ausgrenzen, aber offenkundig gebe es im Kunstbetrieb eine "stärkere Form von Antisemitismus", sagt Söder im BR-Interview. "Den Dirigenten jetzt für die politische Situation im Nahen Osten so verantwortlich zu machen, ist ein völlig falsches Signal."
"Shani steht für Versöhnung"
Stadt München und Philharmoniker zeigen sich "entsetzt": Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit von der Bühne zu verbannen, sei ein Angriff auf wesentliche demokratische Werte. Der Münchner Kulturreferent Marek Wiechers sagt: "Unser designierter Chefdirigent Lahav Shani steht mit seinem integrativen Wirken und seiner Haltung wie kaum ein anderer für Menschlichkeit, Versöhnung und Verständigung."
Shani übernimmt ab der Saison 2026/27 den Posten des Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker. Der 36-Jährige leitet derzeit das Rotterdam Philharmonic Orchestra und ist Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra. Dieses repräsentiere die Kultur Israels, habe aber nichts mit einer Partei oder der Regierung zu tun, betonte Shani vor einem Jahr in einem Interview. Er hoffe, irgendwann mit allen spielen zu können, "mit Palästinensern, aus Gaza, aus der Westbank, egal wo". Es sei "traurig, dass das nicht unsere Realität ist". Der einzige Weg sei Frieden.
Blume: "Schlimmer Fall von Antisemitismus"
In München wird Shani Nachfolger von Valery Gergiev, der im März 2022 entlassen worden war, nachdem er sich nicht von seinem Freund Wladimir Putin und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine distanzieren wollte. In sozialen Medien vergleicht eine Reihe von Nutzern beide Fälle. Söder widerspricht: "Da gab es persönliche Verbindungen", betont er mit Blick auf Gergiev und Putin. Insofern sei es etwas anderes gewesen als jetzt bei Shani.
Auch Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) sagt im BR-Interview, es handle es sich um einen ganz anderen Fall. Denn es gehe offensichtlich weniger um die Frage, wie das Verhalten der israelischen Regierung zu bewerten sei, sondern um einen "ganz schlimmen Fall von Antisemitismus". Das sei in hohem Maße "verstörend", urteilt Blume. "Deswegen muss hier ein ganz klares Stoppschild aufgestellt werden."
Grüne: "Beunruhigende Serie von Absagen und Ausladungen"
Sanne Kurz, kulturpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, erklärte, die Münchner Philharmoniker würden "samt Publikum faktisch in Sippenhaft genommen", nur weil ihr Chefdirigent einen israelischen Pass habe. "Wir erleben in Deutschland, Europa und weltweit eine beunruhigende Serie von Absagen und Ausladungen, die jüdische und nicht-jüdische israelische Stimmen trifft." Das dürfe sich nicht normalisieren.
Kritik vom Zentralrat der Juden
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, kritisiert, die Ausladung sei mit dem Anspruch einer offenen, pluralistischen Gesellschaft nicht vereinbar. Künstlerische Freiheit dürfe nicht selektiv gewährt werden – "und schon gar nicht auf Grundlage von Herkunft oder Religion". Er fühle sich an die dunkelste Zeit der deutschen Geschichte erinnert, sagte Schuster im BR Fernsehen. Im Nationalsozialismus habe man als Künstler nur dann auftreten können, so Schuster, wenn man das Regime aktiv unterstützt habe.
Im Video: Zentralrats-Präsident Schuster im Interview
Josef Schuster
Für die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, ist die Ausladung eines "der krassesten Beispiele des aktuellen Judenhasses", wie sie der Deutschen Presse-Agentur sagt. "Bigott, unverfroren und unverschämt."
Als "Schande für Europa" wertet die Ausladung Bundeskulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos). "Unter dem Deckmantel vermeintlicher Israel-Kritik wird hier ein Kultur-Boykott betrieben." Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, beklagt im dpa-Interview: "Von Künstlerinnen und Künstlern zu verlangen, dass sie sich für oder gegen den Staat positionieren, in dem sie leben, kommt einer Gesinnungsprüfung gleich."
Holetschek: Entscheidung zurücknehmen
Der bayerische CSU-Fraktionsvorsitzende Klaus Holetschek fordert, die Entscheidung müsse "noch heute zurückgenommen werden". Belgien sei mit Brüssel ein Hauptsitz der EU und somit ein Herzstück des europäischen Wertefundaments. "Blanker Antisemitismus hat hier nichts, aber auch gar nichts verloren." Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl bezeichnet die Ausladung als "Katastrophe, die Erinnerungen an dunkle Zeiten hochkommen lässt".
Die Veranstalter hatten unter anderem argumentiert, das Festival wolle "in erster Linie ein Ort sein, an dem Künstler, Publikum und Mitarbeiter Musik in einem respektvollen und sicheren Umfeld erleben können". Angesichts der "Unmenschlichkeit der aktuellen Situation, die auch in unserer eigenen Gesellschaft zu emotionalen Reaktionen führt, halten wir es für unerwünscht, dieses Konzert stattfinden zu lassen".
Im Video: Münchner Philharmoniker von Gent-Festival ausgeladen
Die Ausladung der Münchner Philharmoniker vom Flanders Festival wegen ihres israelischen Dirigenten Lahav Shani ist auf scharfe Kritik gestoßen.
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