Fünf Tote, 72 teils schwerst Verletzte - es war ein massives Zugunglück: Am 3. Juni 2022 entgleiste ein Regionalzug bei Burgrain im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, die Bilder des Wracks gingen um die Welt. Mit brüchiger Stimme und Tränen in den Augen sagte einer der Angeklagten zum Prozessauftakt am Dienstagvormittag: "Es tut mir alles so furchtbar leid". Er fühle sich schuldig und mache sich große Vorwürfe, sagte der Mann. Das Interesse an dem Prozess im Münchner Strafjustizzentrum ist groß: Die Zuschauerplätze wie auch die Plätze für Pressevertreter sind voll belegt.
Fahrdienstleiter: Hinweis per Funkspruch am Vorabend nicht weitergegeben
Am Vorabend des Zugunglücks bei Burgrain war er Fahrdienstleiter bei der Bahn. Die Staatsanwaltschaft München II hat den heute 66-Jährigen angeklagt, wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Denn laut Anklage erreichte ihn am Vorabend während seines Dienstes ein Funkspruch eines Lokführers.
Der sagt ihm demnach, dass der Zug "hupft" - genau an der Stelle, an der am nächsten Tag ein Zug entgleisen wird und fünf Menschen sterben sowie mehr als 70 weitere teils schwer verletzt werden.
Die Meldung gab der Fahrdienstleiter, der mittlerweile im Ruhestand ist, jedoch nie weiter: "Ich habe den Funkspruch nicht so verstanden, dass eine sofortige Reaktion erforderlich ist", sagte er mit brüchiger Stimme im Münchner Gerichtssaal. Es sei kein "Schlagwort" gefallen, das etwa eine sofortige Sperrung notwendig gemacht hätte. Dass er die Weitergabe versäumt habe, könne er sich dennoch "nicht erklären".
Marode Betonschwellen: Welche Rolle hatte der Streckenleiter?
Schuldig fühle sich der Angeklagte, aber ist er es auch im Sinne des Strafrechts? Das soll der Prozess am Landgericht München II zeigen. Bis Mitte Januar sind 18 weitere Verhandlungstage angesetzt. Die Strafverteidiger des damaligen Fahrdienstleiters sagen zum Auftakt: Aus ihrer Sicht fehle die Kausalität, also der direkte Zusammenhang zwischen dem Handeln des Fahrdienstleiters und dem Unglück.
Was laut Unfallberichten zum Entgleisen des Zugs am 3. Juni 2022 geführt hat, waren marode Betonschwellen. Sie gaben nach, als der Zug mit rund 90 km/h durch die Kurve nördlich von Garmisch-Partenkirchen fuhr. Dass die Bodenschwellen, auf denen die Gleise lagen, Mängel aufwiesen, war laut Anklage seit 2020 bekannt, als entsprechende Vermerke ins Meldesystem der Bahn eingetragen wurden.
Verantwortlich für die Bodenschwellen war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft der heute 58-jährige Streckenleiter. Sie wirft dem Mann vor, Meldungen missachtet zu haben. Konsequenzen blieben aus. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätten die Schwellen früher ausgetauscht werden oder eine Langsamfahrstelle eingeführt werden müssen.
Zugunglück bei Burgrain: Streckenleiter bittet um Entschuldigung
Der Streckenleiter beteuerte vor Gericht, er und auch Mitarbeiter aus seiner Abteilung hätten das Ausmaß der Schäden nicht gesehen, da sie bei einer Inspektion nicht aufgefallen seien. Deshalb hätten die Schwellen nicht die höchste Warnstufe erhalten, die einen schnelleren Austausch nach sich gezogen hätte.
Vor Gericht sagte der damalige Streckenleiter zum Prozessauftakt, ihn plage die Frage, was er übersehen habe und was er hätte anders machen können.
Er bat um Entschuldigung und wandte sich direkt an die Angehörigen und Opfer: "Ich habe nicht gewusst, was an dieser Stelle im Gleis los war", und weiter: "Bitte glauben Sie mir das." Seine Frau sei damals mehrmals in der Woche genau diese Strecke mit dem Zug gefahren.
Angeklagter Fahrdienstleiter zu Funkspruch befragt
Ob das Gericht bei den Angeklagten eine Schuld für die fahrlässige Tötung und Körperverletzung sieht, wird der Prozess zeigen. Am Nachmittag befragte der Vorsitzende Richter den Fahrdienstleiter, auch eine Tonaufnahme des Funkspruchs wurde abgespielt. Dabei wurde deutlich, dass es kein einheitliches Kommunikations- und Meldesystem für Funksprüche gibt, die Lokführer an die Fahrdienstleiter durchgeben. Welche Informationen wie weitergegeben werden, entscheide sich an bestimmten Schlagwörtern oder der wahrgenommenen Dringlichkeit, so der Angeklagte.
Die Verhandlung wird am Donnerstag fortgesetzt, dann soll auch der erste Zeuge aussagen.
Im Video: Zugunglück von Burgrain - erster Prozesstag
Grablichter an der Unfallstelle
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