Auf YouTube kursieren derzeit Videos, die mit auffälligen "EILMELDUNG"-Schriftzügen in Thumbnails und Titeln Aufmerksamkeit erzeugen. Mit Schlagzeilen wie "Von Storch zur Verfassungsrichterin gewählt! AfD triumphiert!" oder "EILMELDUNG! Alice nominiert Beatrix von Storch als Richterin" wird suggeriert, die AfD-Politikerin sei für das Bundesverfassungsgericht nominiert oder gar bereits gewählt worden. Das stimmt nicht. Der #Faktenfuchs erklärt warum — und welche Masche hinter der Aufmachung der Videos steckt.
Bislang keine neuen Nominierungen, Wahl verschoben
Es gibt keine seriöse Quelle, die die Behauptung untermauert, Beatrix von Storch sei als Verfassungsrichterin nominiert worden. Die Wahl für die drei offenen Richterstellen am Bundesverfassungsgericht scheiterte zuletzt am 11. Juli 2025. Der Bundestag sagte die Wahl ab, weil sich abzeichnete, dass bei der Union die nötige Unterstützung für eine Kandidatin fehlte. Eine Neuwahl der Richter wurde auf einen bislang unbestimmten Termin nach der Sommerpause verschoben.
Kein Vorschlag aus der AfD — keine Mehrheit in Sicht
Aktuell wurde niemand neu nominiert, die SPD hat aber am Donnerstag die Verwaltungsrichterin Sigrid Emmenegger für die Wahl als Richterin am Bundesverfassungsgericht benannt.
Die AfD hat bisher noch nie jemanden für das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen. Auch die Chancen der AfD derzeit jemanden nominieren zu können, stehen laut dem Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder bei "null". Das sagte Schroeder, der an der Universität Kassel eine Professur für das politische System der Bundesrepublik Deutschland innehat, im Interview mit dem #Faktenfuchs.
Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und öffentliches Recht an der Business & Law School Berlin, teilt diese Einschätzung. Zwar könnte die AfD im Wahlausschuss eine Kandidatin vorschlagen, aber: "Weil man dort eine Zweidrittelmehrheit braucht und es mittlerweile klar ist, dass die AfD diese nicht bekommt, wäre ein solcher Wahlvorschlag chancenlos."
Informelles Vorschlagsrecht für Union und SPD
Die Wahl von Richterinnen und Richtern am Bundesverfassungsgericht erfolgt in mehreren Schritten. Das Recht, Kandidaten vorzuschlagen, existiert nur informell, es gibt keine gesetzliche Regelung. Bisher wurde es so gehandhabt: Union und SPD durften jeweils drei Richterinnen oder Richter pro Senat benennen, Grüne und FDP jeweils eine Person.
Laut Politikwissenschaftler Schroeder hängt die Praxis des informellen Vorschlagsrechts mit historischen Stärkeverhältnissen im Parlament zusammen und könne sich perspektivisch ändern: "Wenn die AfD Regierungspartei würde oder andere Parteien sagen: 'So, jetzt ist aber Zeit und die müssen berücksichtigt werden', und sich dafür entsprechende Mehrheitswillen herauskristallisieren. Aber das ist gegenwärtig nicht der Fall."
Da in diesem Jahr drei Richterinnen und Richter aufgrund der Altersgrenze bzw. aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden (externer Link), sind drei Stellen nach zu besetzen. Um die ausgewogene Besetzung des Gerichts beizubehalten, liege das informelle Vorschlagsrecht einmal bei der Union und zweimal bei der SPD, erklärt Alexander Thiele.
Zweidrittelmehrheit im Wahlausschuss und im Bundestag nötig
Nach der Nominierung bestimmt der zwölfköpfige Wahlausschuss (externer Link), der sich derzeit entsprechend der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag aus fünf Unions-Abgeordneten, drei AfD-Abgeordneten, zwei SPD-Abgeordneten, einem Grünen- sowie einem Linken-Abgeordneten zusammensetzt, die Kandidaten als offiziellen Wahlvorschlag.
Im Anschluss stimmt das Parlament über die Kandidatinnen und Kandidaten ab. Sowohl im Wahlausschuss, als auch im Parlament ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Seit der vergangenen Bundestagswahl haben Union, SPD und Grüne keine Zweidrittelmehrheit mehr. Ohne weitere Stimmen von der Linken oder der AfD ist also keine Wahl möglich.
Auffällige "Eilmeldungen" sollen Dringlichkeit vortäuschen
In den Kommentarspalten der irreführenden YouTube-Videos fragen Nutzerinnen und Nutzer, warum sie von einer solch wichtigen Nachricht noch nichts in anderen Medien gelesen haben. Genau darauf scheinen die Macher zu setzen: "Der Begriff der Eilmeldung soll einen journalistischen Charakter vorgaukeln", erklärt der Politikberater Johannes Hillje, der zuletzt etwa die Grünen im Bundestagswahlkampf beraten hat, im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Wer nicht täglich viele Nachrichten konsumiere, könnte dadurch verunsichert werden, so Hillje.
"Das ist relativ perfide, weil Menschen dann vielleicht erstmal dieser Desinformation glauben, sie abspeichern und später gar nicht mehr nachprüfen, ob das auch irgendwo anders berichtet wurde."
Zugleich erklärt eine angebliche Eilmeldung, warum noch niemand anderes das Thema aufgegriffen hat. Würde die Nachricht stimmen, hätten andere Medien und Quellen jedoch darüber berichtet. Man sollte also stutzig werden, wenn der Verfasser nicht eindeutig ist oder man die Nachricht nirgendwo anders findet.
Fazit
Videos mit Behauptungen, Beatrix von Storch sei als Verfassungsrichterin nominiert oder gar gewählt worden, sind falsch. Da die anderen Parteien im Bundestag nicht mit der AfD zusammenarbeiten, kann die AfD derzeit keine eigene Kandidatin für die Wahl vorschlagen.
Die Aufmachung als angebliche Eilmeldung täuscht Usern Aktualität vor und soll der Falschmeldung Glaubwürdigkeit verleihen.
Disclaimer, 11.09.2025, 8:45: Wir haben in der Überschrift "Faktenfuchs" ergänzt.
Quellen:
Interviews/Presseanfragen:
Interview mit Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler und Professor für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel
Interview mit Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und öffentliches Recht an der Business & Law School Berlin
Interview mit Johannes Hillje, Politikberater
Veröffentlichungen
Informationen zum Wahlausschuss auf der Seite des Deutschen Bundestags (externer Link)
tagesschau.de: Berichterstattung zur abgesetzten Wahl sowie zum generellen Procedere der Wahl von Verfassungsrichtern
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