Im Viertel Al-Sawaida in Gaza-Stadt stürmten diese Woche verzweifelte Menschen auf Paletten mit Hilfsgütern zu, die aus einem Flugzeug abgeworfen wurden. In eine Staubwolke gehüllt drängten sich ausgemergelte Menschen aneinander vorbei und rissen sich gegenseitig Pakete aus den Händen. Diese Szenen schilderten lokale Journalisten der Nachrichtenagentur AFP.
Fast 1.400 Tote bei GHF-Verteilstellen
Auch an den vier Verteilstellen der von den USA und Israel unterstützten Gaza Humanitarian Foundation (GHF) herrscht Chaos und Gewalt. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) nannte die GHF-Zentren "Orte orchestrierter Tötungen und Entmenschlichung". Nach UN-Angaben wurden bis zum 1. August fast 1.400 Menschen (externer Link) an den Ausgabestellen getötet – vorwiegend durch das israelische Militär.
Zwar kommen wieder Hilfsgüter an, aber viele Lkw werden geplündert, bevor sie ihr Ziel erreichen. Seit dem 19. Mai wurden laut UN von 2.600 Lkw etwa 2.300 abgefangen, "entweder friedlich von hungrigen Menschen oder gewaltsam von bewaffneten Akteuren". MSF, aber auch die Welthungerhilfe betonen aber, dass sie - entgegen der israelischen Darstellung - keine Hinweise darauf haben, dass Hilfe systematisch von der Hamas geplündert werde.
"Die Lage ist katastrophal"
"Die Lage ist katastrophal", sagt Lara Dovifat, Leiterin der politischen Abteilung von MSF auf Anfrage von BR24. Die Organisation hat rund 900 Mitarbeiter in dem Küstenstreifen. "Unsere Teams berichten von mangelernährten Kindern, infizierten Wunden, fehlenden Medikamenten und Operationen ohne Narkose." Dovifat: "Der Hunger breitet sich aus" - verursacht "durch politische Entscheidungen".
Dabei stehen "an den Grenzübergängen hunderte Lkw mit Hilfsgütern bereit, doch nur ein Bruchteil darf hinein", so Dovifat. Die israelischen Behörden kontrollierten nicht nur die Menge, sondern auch Tempo und Art der Lieferungen. Dovifat: "Wenn ein Lkw reingelassen wird, muss er entladen, in sogenannte Holding Zones gebracht und auf neue Fahrzeuge umgeladen werden – ein enorm aufwändiger und verzögernder Prozess."
"Der Zugang wird systematisch eingeschränkt"
Auch Marvin Fürderer von der Welthungerhilfe betont, dass die Versorgung am fehlenden Zugang scheitere. "Es gibt genügend Hilfsgüter, gut vorbereitete Organisationen, erfahrenes Personal. Aber der Zugang wird systematisch eingeschränkt – durch politische Hürden und durch ein künstlich verengtes Verteilungssystem", so Fürderer zu BR24. Laut Welthungerhilfe schaffen es derzeit 70 bis 80 Lkws pro Tag über die Grenze. Laut UN sind mindestens 200 Lastwagen täglich nötig, um eine minimale Grundversorgung der rund zwei Millionen Menschen aufrechtzuerhalten.
Auch israelische Siedler blockieren und attackieren immer wieder Hilfstransporte. Am Mittwoch berichtete die jordanische Regierung, dass ein Konvoi mit 30 Lastwagen mit Steinen angegriffen wurde. Auch Jordanien kritisiert lange Inspektionszeiten, begrenzte Öffnungszeiten an den Übergängen und Zollgebühren von bis zu 400 US-Dollar pro Lkw.
Luftwaffe wirft Hilfsgüter über Gaza ab
Die Bundesregierung beteiligt sich inzwischen mit Air-Drop-Offs. In einem Interview mit der Radiowelt in Bayern 2 sagte ein Luftwaffen-Pilot: "Solange über Land nicht ausreichend zugeführt werden kann, sind wir die Einzigen, die etwas liefern können." Am Mittwoch war die Luftwaffe demnach mit zwei Maschinen unterwegs und hat 25 Tonnen Hilfsgüter abgeworfen. "Wir haben drei Drop-Zonen im Norden, zwei in Zentralgaza und zwei im Süden", sagte der Stabshauptmann. Die Präzision der Abwürfe sei hoch. "Wir haben eine Treffergenauigkeit von 0 bis 40, 50 Meter". Sollten sich zu viele Menschen in einer Drop-Zone befinden, werde eine andere Zone angeflogen.
In Deutschland findet die klare Mehrheit der Wahlberechtigten, dass die Bundesregierung mehr Druck auf Israel ausüben sollte, das Vorgehen im Gazastreifen zu ändern. Diese Erwartung äußern 66 Prozent der Befragten im neuen ARD-DeutschlandTrend. 24 Prozent sehen das anders. Weniger deutlich ist das Stimmungsbild bei der Frage nach Deutschlands Engagement für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen: 47 Prozent finden, dass die Bundesregierung zu wenig für die Menschen im Gazastreifen tut. 39 Prozent sehen das nicht so.
Hilfsorganisationen kritisieren Abwürfe als ineffizient und gefährlich
Hilfsorganisationen sehen die Abwürfe kritisch: Die Berliner Denkfabrik Centre for Humanitarian Action (CHA), sprach von "Symbolpolitik und Geldverschwendung". Hilfstransporte aus der Luft sind bis zu 35-mal teurer als Konvois zu Land (externer Link). Ein einziger Lastwagen könne dieselbe Hilfe leisten wie ein durchschnittlicher Transportflug. Die Welthungerhilfe nennt die Abwürfe "nicht nur ineffizient, es ist gefährlich. Menschen sind dabei bereits ums Leben gekommen". Lara Dovifat von MSF beklagt: Besonders Kinder, Ältere, Schwangere oder Menschen mit Behinderung hätten oft keine Chance, rechtzeitig zu den Abwurfzonen zu gelangen. "Es setzt sich das Recht des Stärkeren durch – mit gerechter humanitärer Hilfe hat das nichts zu tun."
Mit Informationen von dpa und AFP
Zum Audio: Luftwaffen-Pilot zu den Hilfslieferungen aus der Luft
05.08.2025: Hilfsgüter werden aus einem Airbus A400M der Luftwaffe der Bundeswehr über dem Gazastreifen abgeworfen.
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