Vor wenigen Tagen hat der Bundestag für die Neuregelung des Wehrdienstes gestimmt. Fast zeitgleich sind bundesweit Schülerinnen und Schüler, aber auch ältere Menschen dagegen auf die Straße gegangen. Vielerorts standen die Demos am Freitag unter dem Motto "Schulstreik gegen Wehrpflicht" – obwohl das neue Gesetz keine Wiederaufnahme der Wehrpflicht vorsieht.
Auch wenn eine Reaktivierung für die Zukunft nicht ausgeschlossen ist – in Deutschland ist das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, im Grundgesetz verankert. "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden", heißt es in Artikel 4. Grundsätzlich können sich alle auf diesen Artikel berufen. Allerdings können nur Männer "vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an" zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden. Für Frauen gilt das nicht, auch das ist im Grundgesetz geregelt.
Was heißt das in der Praxis?
In der Praxis beginnt die Kriegsdienstverweigerung mit einem schriftlichen Antrag beim regional zuständigen Karrierecenter der Bundeswehr. Die Karrierecenter sind heute für viele der Aufgaben der einstigen Kreiswehrsatzämter verantwortlich. In dem Schreiben muss das Verweigerungsgesuch begründet werden. Ein tabellarischer Lebenslauf ist beizufügen. Das Karrierecenter prüft dann zunächst mittels einer Untersuchung, ob der Antragssteller überhaupt tauglich ist. Ist das der Fall, geht der Antrag ans Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Das entscheidet oder stellt möglicherweise auch Nachfragen. Wird ein Antrag abgelehnt, so kann dagegen Widerspruch eingelegt werden. In letzter Instanz könnte die Verwaltungsgerichtsbarkeit entscheiden.
Zahl der Verweigerer gestiegen
Zuletzt gingen deutlich mehr Männer diesen Weg. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer ist angestiegen. Das meldet der Evangelische Pressedienst (epd) unter Verweis auf das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Demnach seien dort bis Ende Oktober rund 3.034 Anträge eingegangen. 1.562 Anträge stammten von Ungedienten. 1.324 von Reservisten und 148 von Soldaten. So viele Verweigerungsanträge wie in diesem Jahr habe es zuletzt 2011 gegeben. Damals wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. 2023 wurden 1.079 Anträge gestellt, 2024 2.249. 2019 lag die Zahl dem Bericht zufolge bei 110. Auch verschiedene Beratungsstellen meldeten zuletzt ein gestiegenes Interesse. Offenbar möchte eine wachsende Zahl an Männern vorsorglich verweigern, schließlich ist die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt, aber nicht abgeschafft. Im Verteidigungsfall würde sie reaktiviert.
Vor der Aussetzung der Wehrpflicht wurden anerkannte Kriegsdienstverweigerer in der Regel als Zivildienstleistende eingesetzt. Auch das geschah auf Basis des Grundgesetzes. Das sieht einen derartigen Ersatzdienst vor. Seit 2011 hat das aber an praktischer Relevanz verloren, auch wenn sich nichts an der gesetzlichen Grundlage geändert hat.
Neuer Wehrdienst: Praxis bleibt erstmal gleich
Laut einer Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums soll sich an der Praxis der Antragsstellung auch mit dem neuen Wehrdienst nichts ändern. Die Karrierecenter bleiben die Adressaten für Kriegsdienstverweigerungsanträge, wenn das neue Modell greift.
Ab dem kommenden Jahr sollen junge Männer und Frauen einen Fragebogen erhalten. Abgefragt werden sollen Eignung und Motivation für den Dienst in der Bundeswehr. Für Männer wird das Ausfüllen zur Pflicht, für Frauen ist es freiwillig. Im Folgenden soll jeder junge Mann, der ab dem 1.1.2008 geboren wurde, gemustert werden. Das bei den Meldebehörden eingetragene Geschlecht soll als maßgeblich gelten. Das bedeutet, dass auch Transpersonen, die das männliche Geschlecht angenommen haben, den Pflichten unterliegen.
Mithilfe der Musterung soll festgestellt werden, wer überhaupt wehrdienstfähig ist. Seit die Wehrerfassung parallel zum Aussetzen der Wehrpflicht faktisch abgeschafft wurde, gibt es kein entsprechendes Lagebild mehr. Die Kapazitäten für die Musterungen müssen aber erst aufgebaut werden. Die Karrierecenter sind dafür nie ausgelegt gewesen. Erst ab Mitte 2027 sollen Jahrgänge flächendeckend gemustert werden, vorher wohl nur jene jungen Männer, die ohnehin Interesse bekundet haben.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!
