Auslosen, wer zur Musterung und zum Wehrdienst muss? Dieser Vorschlag kam im Oktober von Fachpolitikern von Union und SPD und wurde bundesweit diskutiert. Dass er sich durchsetzt, wird nun immer unwahrscheinlicher.
Am Montag hat sich Carsten Breuer, Generalinspekteur und damit ranghöchster Soldat der Bundeswehr, in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gegen ein Losverfahren beim Wehrdienst ausgesprochen: "Aus militärischer Sicht ist es entscheidend, dass jeweils der gesamte Jahrgang gemustert wird", sagte Breuer, denn: "Nur so wissen wir, wer zur Verfügung steht und auf wen wir im Verteidigungsfall, den wir verhindern wollen, zugreifen könnten."
Dem hat sich jetzt auch der CDU-Wehrexperte und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag Thomas Röwekamp angeschlossen. Der "Augsburger Allgemeinen" sagte er: "Ich teile die Einschätzung des Generalinspekteurs: Eine einheitliche Musterung aller jungen Männer ist ein notwendiger Schritt, um im Krisenfall schnell und zielgerichtet handeln zu können." Sofern notwendig, könne sich Röwekamp auch wieder eine Wehrpflicht vorstellen.
Pistorius setzt auf Freiwilligkeit
Die Diskussion um das Wehrdienstgesetz, das am 1. Januar 2026 in Kraft treten soll, beschäftigt seit einigen Wochen den Bundestag. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) setzt in seinem Gesetzentwurf zunächst auf Freiwilligkeit, um neues Personal für die Bundeswehr zu gewinnen. Die Union will einen Automatismus, der sicherstellt, dass sich genügend Rekruten finden.
Generalinspekteur Breuer will lieber die heranziehen, "die besonders qualifiziert und motiviert sind". Das könnten je nach Bedarf vielleicht IT-Spezialisten sein und zu einem anderen Zeitpunkt LKW-Fahrer. Das setzt voraus, dass vorher alle gemustert und damit registriert wurden.
Schulze: "Gesellschaftsjahr stärkt die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie"
Auch in Bayern gibt es vehemente Kritik am Losverfahren: "Die Bundeswehr ist doch keine Losbude", sagt beispielsweise Katharina Schulze von den Grünen. Sie fordert stattdessen ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle" – also auch nicht nur für Männer, wie von Union und SPD vorgesehen.
Bei dem von Schulze vorgeschlagenen Gesellschaftsjahr "haben dann alle die freie Wahl, in welchem Bereich sie sich einbringen wollen". Das könne die Bundeswehr sein. Aber auch beispielsweise das Seniorenheim, die Feuerwehr oder der Naturschutz. Schulze ist überzeugt: "Ein Gesellschaftsjahr stärkt die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie gegen russische Bedrohung von außen, gegen Extremismus von innen und auch gegen das Gefühl der Hilflosigkeit in Zeiten vieler Krisen."
Pohl: "Musterung gesamter Jahrgänge ist alternativlos"
In eine ähnliche Richtung argumentiert Bernhard Pohl, der verteidigungspolitische Sprecher der Freien Wähler. Auch er fordert ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen". Pohl sei "sicher, dass wir bei einem verpflichtenden Gesellschaftsjahr genügend Menschen dazu bringen werden, sich auch für die Landes- und Bündnisverteidigung zu verpflichten". Die Musterung gesamter Jahrgänge halte er für "alternativlos": "Einen Grundrechtseingriff per Losverfahren, das ist originell, dürfte aber mit geltendem Verfassungsrecht kaum zu vereinbaren sein."
Der Deggendorfer CSU-Politiker Thomas Erndl, verteidigungspolitischer Sprecher der Union im Bundestag, fordert: "keine Symboldebatten zur Musterung, sondern eine Armee mit Vollausstattung." Es brauche "mehr Ehrgeiz beim Ausbau der Ausbildungskapazitäten für den neuen Wehrdienst".
Derzeit dienen etwa 182.000 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr. Um die NATO-Verpflichtungen zu erfüllen, braucht es rund 80.000 aktive Kräfte mehr. Außerdem sollen 200.000 Reservisten hinzukommen. Um die Rekrutierung dieser Kräfte war im Oktober in der Koalition ein Streit entbrannt. Der Vorschlag von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius für ein neues Wehrdienstgesetz wurde bereits vor einigen Wochen im Bundestag debattiert. Bis Ende des Jahres soll das Gesetz dort verabschiedet werden.
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