(Symbolbild) Börsenhändler stoßen mit Sekt an.
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Wie viele Milliardäre in Deutschland "Self-made" sind oder nur geerbt haben – diese Frage lässt sich nicht beantworten, denn es gibt keine Daten.
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Wie viele Milliardäre in Deutschland "Self-made" sind oder nur geerbt haben – diese Frage lässt sich nicht beantworten, denn es gibt keine Daten.

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#Faktenfuchs: Milliardäre in Deutschland - drei Viertel Erben?

#Faktenfuchs: Milliardäre in Deutschland - drei Viertel Erben?

Erbe oder Self-made? In der Diskussion um die Erbschaftssteuer wird regelmäßig eine Zahl genannt: 75 Prozent der Milliardäre in Deutschland seien angeblich durchs Erben reich geworden. Doch für diese scheinbar exakte Aussage fehlen genaue Daten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Darum geht's:

  • In der Diskussion um die Erbschaftssteuer in Deutschland wird unter anderem von Linken-Politikerin Heidi Reichinnek regelmäßig eine Zahl verwendet: 75 Prozent der Milliardäre in Deutschland hätten ihr Vermögen geerbt.
  • Diese Aussage ist nicht belegt. Sie basiert auf Daten aus der Forbes-Milliardärsliste.
  • Die Forbes-Liste hat Einschränkungen: Die Anzahl der Milliardäre, die Höhe des Vermögens und der Anteil des Erbes sind Schätzungen und keine exakten Werte. Die Datenlage zu hohen Vermögen in Deutschland ist schlecht.

Gerechtes Verteilungsinstrument oder "Gift"? Derzeit wird in Deutschland über die Erbschafts- und eine mögliche Vermögenssteuer diskutiert. Unions-Fraktionschef Jens Spahn und die SPD denken über eine Reform der Erbschaftssteuer nach, andere Unions-Politiker sind dagegen.

Eine Zahl taucht dazu regelmäßig in der Diskussion auf: 75 Prozent. Das sei der Anteil der Milliardäre in Deutschland, die ihr Vermögen nur geerbt hätten. Unter anderem Heidi Reichinnek, Vorsitzende der Linken-Bundestagsfraktion, oder der Ökonom und Publizist Maurice Höfgen, ehemaliges Linken-Mitglied, nennen diese Zahl.

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Wie viele Milliardäre in Deutschland "Self-made" sind oder nur geerbt haben – diese Frage lässt sich nicht beantworten, denn es gibt keine Daten.

75 Prozent Erben: Annäherung statt exakter Anteil

Doch diese scheinbar genaue Aussage lässt sich nicht eindeutig belegen. Reichinnek und Höfgen übernehmen die Zahl aus einer Berechnung des Datenstudios "Datapulse" (externer Link), die im Juni dieses Jahres veröffentlicht wurde. Doch die drei Viertel sind laut Experten nur eine Annäherung. Zudem sei die strikte Unterscheidung zwischen geerbtem und erarbeiteten Vermögen nicht exakt.

Das liegt daran, dass die Datengrundlage der Datapulse-Berechnung die Milliardärs-Liste des Wirtschaftsmagazins "Forbes" ist. Diese Liste basiert nicht auf amtlichen Daten, sondern auf journalistischen Recherchen und sie hat Schwächen und Einschränkungen. Der #Faktenfuchs hat Forbes um Stellungnahme dazu gebeten, bis zum Erscheinen dieses Textes aber keine Antwort erhalten.

"Wir haben zu wenig Transparenz. Also da herrscht wirklich einiges an Nachholbedarf, um diesen Bereich besser zu beleuchten", sagt Markus Grabka im #Faktenfuchs-Interview zur Datenlage zu sehr großen Vermögen in Deutschland. Er forscht am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin unter anderem zur Vermögensverteilung.

Datengrundlage der Zahl sind die Forbes-Ranglisten

"Forbes" erstellt seit 1987 jährlich eine Liste (externer Link), auf der Milliardäre auf der ganzen Welt verzeichnet sind, genannt "The World's Billionaires". Das unabhängige Datenstudio "Datapulse" wertete die Forbes-Listen von 1997 bis 2024 aus. Die Daten, die Datapulse verwendete, liegen dem BR vor.

Forbes teilt die Milliardäre auf der Liste in Kategorien von eins bis zehn ein und nennt das "Self-Made-Score" (externer Link). Unter Kategorie eins fallen Personen, die laut Forbes ein Vermögen geerbt haben und "nicht arbeiten, um es zu vergrößern". Am anderen Ende, unter Kategorie zehn, ordnet Forbes Milliardäre ein, die "arm" geboren sind und "bedeutende Hindernisse" auf ihrem Weg zum Reichtum überwunden haben. Milliardärinnen und Milliardäre in den Kategorien sechs bis zehn verleiht Forbes das Label "self-made", also wörtlich "selbstgemacht".

Datapulse berechnete (externer Link) aus den Forbes-Rankings, wie viele Milliardäre in Deutschland 2024 als "self-made" galten. Das waren 25 Prozent. Im Umkehrschluss bezeichnete Datapulse 75 Prozent der Milliardäre in Deutschland als "reich geboren". Daher kommt die Zahl, die Heidi Reichinnek oder Maurice Höfgen verwenden.

Die Frage lautet also: Bilden die Forbes-Listen die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der Milliardäre in Deutschland ab? Nein – da sind sich die Experten, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, einig. Die Rankings sind Schätzungen und Annäherungen. Es gibt mehrere Einschränkungen.

Einschränkung Forbes-Liste Nr. 1: Die Anzahl der Milliardäre

Die Forbes-Liste ist nicht exakt, wenn es um die absolute Anzahl der Milliardäre in Deutschland geht. Das liegt daran, dass die Datenlage in Deutschland nicht ausreicht, um alle Milliardäre sicher zu identifizieren. Die Vermögenssteuer wurde zum Beispiel in Deutschland 1997 ausgesetzt (externer Link).

"Das war bis dahin eigentlich die einzige Quelle, mit der man zumindest hohe Vermögen in Deutschland beschreiben konnte", sagt Markus Grabka vom DIW. "Seitdem weiß die Wissenschaft und erst recht auch die Politik herzlich wenig über die Vermögenskonzentration in Deutschland, zumindest was den obersten Rand betrifft", sagt er.

Es gibt zwar Erhebungen zur Vermögensverteilung in Deutschland: die Vermögensbilanz der privaten Haushalte der Deutschen Bundesbank, das sozioökonomische Panel (SOEP) (eine repräsentative Haushaltsbefragung) und die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts. Doch in allen drei Erhebungen werden sehr große Vermögen nicht erfasst oder sind unterrepräsentiert.

Das Forbes-Magazin schreibt auf seiner Webseite (externer Link), für die Milliardärs-Liste würde nach Möglichkeit versucht, mit den Personen selbst zu sprechen oder mit ihren Vermögensverwaltern, Angestellten oder Anwälten. Um das Vermögen zu bewerten, würden öffentlich zugängliche Dokumente, Unternehmensbeteiligungen und Immobilien, aber auch Yachten und Kunstwerke ausgewertet.

In solchen Reichen-Listen fehlen Milliardäre, "weil sie zum Beispiel auf juristischem Wege angedroht haben, dass sie entsprechend dagegen vorgehen", sagt Markus Grabka vom DIW. Seine Einschätzung zur Liste: "Es gibt die Tendenz, dass zu wenige aufgelistet sind. Aber wie viel zu wenig, da gibt es nur Mutmaßungen."

Maximilian Stockhausen vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln schreibt außerdem auf #Faktenfuchs-Anfrage: Bei den Listen sei nicht klar, "ob es sich um Vermögenswerte einer einzelnen Person oder ganzer Familienverbände handelt und ob einem Inländer- oder Inlandskonzept bei der Vermögenszuordnung gefolgt wird".

Für Christoph Trautvetter ist die Anzahl der Milliardäre in Deutschland auf der Forbes-Rangliste eine "gute Annäherung". Trautvetter ist Referent beim Netzwerk Steuergerechtigkeit, die NGO wird von verschiedenen Mitgliedern wie Ver.di, Attac oder Oxfam unterstützt. Sein Zusatz: "Was aber nicht gut ist und was nicht passt, ist die Summe des Vermögens."

Einschränkung Forbes-Liste Nr. 2: Die Höhe des Vermögens

Markus Grabka sagt zu den Vermögenswerten in Rankings: "Das sind alles Schätzungen und sehr grobe Schätzungen." Er gibt zu bedenken, dass sogar die Milliardäre selbst ihr Vermögen nicht immer exakt beziffern könnten. Beispiel Unternehmensbeteiligungen: Dort gäbe es unterschiedliche Möglichkeiten, den Wert eines Unternehmens zu berechnen.

"Faktisch weiß man den Wert des Unternehmens immer nur dann in dem Moment, wo es verkauft wird", sagt Grabka. Und Maximilian Stockhausen vom IW Köln schreibt: Es sei schwierig, bei einer Bewertung von Privatvermögen die Schulden korrekt abzuschätzen.

In einer Studie aus dem Jahr 2010 (externer Link) verglichen Forscher der Bundessteuerbehörde der USA Erbschaftssteuerdaten von verstorbenen Personen mit dem Vermögenswert auf Forbes-Listen der reichsten US-Amerikaner. Von 1982 bis 2010 wurden der Steuerbehörde Vermögenswerte gemeldet, die im Durchschnitt um die Hälfte niedriger waren als die Forbes-Werte.

Christoph Trautvetter ist Co-Autor einer Studie (externer Link) für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung aus 2023. In dieser wurden die Milliardenvermögen in Deutschland, die bei einem Ranking des Manager Magazin gelistet waren, neu berechnet. Das Manager Magazin erstellt, ähnlich wie Forbes, eine Liste der "reichsten Deutschen".

Trautvetter und seine Kollegin Julia Jirmann schreiben, dass die Vermögen in diesen Rankings unterschätzt seien. Als Beispiel nennt Trautvetter die BMW-Großaktionäre Susanne Klatten und Stefan Quandt. Sowohl Manager Magazin als auch Forbes hätten hier nicht vollständig gerechnet.

Die Vermögenswerte der beiden in den Milliardärslisten seien schon durch Unternehmensbeteiligungen erreicht, zum Beispiel an BMW. Was unvollständig enthalten sei: Die Dividendenausschüttungen des Unternehmens und die daraus resultierenden Zinserträge von Klatten und Quandt, meint Trautvetter.

Jirmann und Trautvetter schreiben in der Studie: Eine vollständige Erfassung des Privatvermögens sei nicht möglich, weil man über öffentliche Daten Privatimmobilien, Aktien oder andere Finanzanlagen nicht den Personen zuordnen könne.

"Darüber hinaus gibt es noch Privatvermögen, die schon bei der Erbschaft übertragen wurden, die es schon seit 100 Jahren gibt, die sich seitdem multipliziert haben", sagt Trautvetter dem #Faktenfuchs.

Einschränkung Forbes-Liste Nr. 3: Einteilung in "ererbt" und "erarbeitet"

"Im Rückblick wünschte ich, wir hätten ein paar mehr Hinweise dazu geliefert, speziell zu der Annahme self-made versus ererbt", sagt Nicolas Caramella im Gespräch mit dem #Faktenfuchs über die Datapulse-Berechnung. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Datapulse. Denn, wie er sagt: "Es ist keine binäre Sache, ist komplizierter als das."

Wie schon bei der Höhe des Vermögens sagen die Experten: Die Datenlage gibt nicht genau her, welcher Milliardär in Deutschland wie viel geerbt und was er erarbeitet hat. "Dazu gibt es höchstens Schätzungen, die jedoch mit starken Annahmen und den zuvor beschriebenen Unsicherheiten der Reichenlisten einhergehen", schreibt Maximilian Stockhausen vom IW Köln.

Es gibt zwar Statistiken zur Erbschaftssteuer in Deutschland, aber es gibt auch legale Möglichkeiten bei Erbschaften und Schenkungen, die Steuer zu vermeiden. Zum Beispiel die "Verschonungsbedarfsprüfung" (externer Link): Wenn jemand über 26 Millionen Euro erbt, die Steuer aber nicht aus dem Privatvermögen begleichen kann, dann kann diese erlassen werden.

Stockhausen meint außerdem: Es sei herausfordernd, "bei vererbten (Unternehmens-)Vermögen zwischen dem geerbten Anteil und dem möglicherweise später erarbeiteten Anteil zu differenzieren". Wie bereits erwähnt, verleiht Forbes Milliardärinnen und Milliardäre in den Kategorien sechs bis zehn das Label "self-made", von eins bis fünf haben die Milliardäre etwas "geerbt". In Kategorie fünf laut Forbes zum Beispiel ein "kleines oder Mittelstands-Unternehmen". Mit einem hohen geerbtem Vermögen sei es zudem viel leichter zu investieren oder zu gründen, auch mit Risiko, sagt Christoph Trautvetter.

Datapulse hat mittlerweile einen Hinweis zur Methodik veröffentlicht, in dem es heißt: "Diese binäre Klassifizierung – selbst erarbeitet oder geerbt – stellt eine fundierte Annäherung dar, die zwangsläufig komplexe Realitäten vereinfacht. Viele Milliardäre befinden sich irgendwo zwischen diesen Extremen (...)".

"Die wissenschaftliche Antwort ist schlicht und einfach: Wir wissen es nicht", sagt Markus Grabka zum Anteil der Milliardärs-Erbschaften. Grabka ist Co-Autor einer Studie aus 2016 (externer Link), die 130 "Hochvermögende" befragte, also Personen mit einem Geldvermögen von mindestens einer Million Euro. In dieser Gruppe hatten Erbschaften und Schenkungen eine "nennenswerte" Bedeutung für den Vermögensaufbau, sagt Grabka.

Christoph Trautvetter findet es "legitim", dass bei dieser Diskussion vereinfacht wird. Unperfekte Zahlen seien besser, als gar nicht darüber zu sprechen. Datapulse-Chef Nicolas Caramella sagt, man sollte die Zahl von 75 Prozent mehr als eine "begründete Vermutung" verwenden. "Dennoch, lassen Sie es zehn Prozent mehr oder weniger sein. Meiner Meinung nach ist es immer noch eine sehr schockierende Zahl", sagt Caramella.

Er verweist auch auf den Kontrast zu anderen Ländern. Im Vereinigten Königreich, Tschechien oder den Niederlanden sind zum Beispiel die Self-Made-Milliardäre in der deutlichen Überzahl, wenn man die Forbes-Klassifizierung zugrunde legt.

Ganz oben in der Datapulse-Berechnung stehen Russland und China mit einem Anteil von 97 Prozent Self-Made-Milliardären. Eine Einteilung, die die Einschränkungen der Forbes-Klassifizierung zeigt. Denn für die russischen Oligarchen sind dubiose Geschäfte und Verbindungen zur autokratischen Regierung immer wieder berichtet worden.

Fazit

Die Aussage, dass 75 Prozent der Milliardäre in Deutschland ihr Vermögen geerbt haben, beruht auf den Milliardärs-Listen des Forbes-Magazins. Diese Daten sind aber nicht exakt, sondern Annäherungen. Eine strikte Unterteilung zwischen "ererbtem" und "erarbeiteten" Vermögen hat ebenfalls Schwächen.

Es gibt Indizien, dass bei sehr reichen Menschen in Deutschland Erbschaften und Schenkungen eine wichtige Rolle für den Vermögensaufbau spielen. Generell ist die Datenlage zu Milliardenvermögen in Deutschland schlecht. Experten sagen, es sei mehr Transparenz notwendig.

Quellen

Interviews/Presseanfragen

Interview mit Markus Grabka, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin

Interview mit Christoph Trautvetter, Wissenschaftlicher Referent beim Netzwerk Steuergerechtigkeit

Presseanfrage ans Institut der deutschen Wirtschaft Köln

Presseanfrage an Forbes

Veröffentlichungen

Lauterbach, Wolfgang; Ströing, Miriam; Grabka, Markus; Schröder, Carsten: Hochvermögende in Deutschland. In: Lebenslagen in Deutschland. Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung. Berlin: 2016.

Jirmann, Julia & Trautvetter, Christoph: Milliardenvermögen in Deutschland. Lücken der Reichtumserfassung und -besteuerung. Düsseldorf: 2023.

Raub, Brian u.a.: A Comparison of Wealth Estimates for America's Wealthiest Decedents Using Tax Data and Data from the Forbes 400. In: Proceedings. Annual Conference on Taxation and Minutes of the Annual Meeting of the National Tax Association (103). 2010, S. 128 - 135.

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