Hinweis: Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation mit Tetyana Klug von Deutsche Welle Faktencheck.
Darum geht’s:
- Der Schaustellerbund, der bayerische Städtetag und die GEMA teilen einhellig mit: Es gebe keine massenhaften Absagen von Weihnachtsmärkten in Deutschland.
- Richtig ist, dass die Sicherheitskosten für Weihnachtsmärkte gestiegen sind - und dass vereinzelt Weihnachtsmärkte aus verschiedenen Gründen abgesagt wurden.
- Die Falschbehauptung erfüllt Merkmale von Desinformation, die darauf abzielt, Unsicherheit zu schüren.
Im Dezember prägen Stände mit Glühwein, Bratwürsten und Weihnachtsdekoration das Bild bayerischer Innenstädte. Ein Ausflug auf den Weihnachts- oder Christkindlmarkt gehört für viele zur Adventszeit dazu.
Aber Weihnachtsmärkte können nicht nur im Positiven emotionalisieren - sondern auch im Negativen. Das zeigt sich an Falschbehauptungen, die derzeit auf TikTok und X kursieren. In Posts und Videos wird fälschlicherweise behauptet, massenhaft würden Weihnachtsmärkte in Deutschland aufgrund gestiegener Sicherheitskosten abgesagt. Das stimmt nicht - bislang gibt es nur vereinzelte Absagen.
Stadt Schongau: "Weihnachtsmarkt 2025 findet wie gewohnt statt"
Ein X-Post mit der Falschbehauptung vom 20. Oktober 2025 erreichte über 400.000 Views und 25.000 Likes. Er bezieht sich auf einen Nachrichtenartikel in Englisch auf der Website "J&M Duna Press" mit der Überschrift "Deutschland sagt Weihnachtsmärkte 2025 ab" vom 18. Oktober 2025. Grund für Absagen von Weihnachtsmärkten in kleinen Städten seien laut dem Artikel "unbezahlbare Sicherheitskosten". Im Artikel wird fälschlicherweise behauptet, auch die Stadt Schongau in Oberbayern habe ihren Weihnachtsmarkt abgesagt. Auf Anfrage von Deutsche Welle Faktencheck schrieb die Stadt Schongau: "Der Weihnachtsmarkt 2025 findet wie gewohnt statt."
Richtig ist, dass vereinzelt Weihnachtsmärkte in Deutschland aus unterschiedlichen Gründen abgesagt wurden. So zum Beispiel die Winterterassen im Hamburger Stadtteil Rahlstedt, für die sich keine Schausteller und Gastronomen fanden. Die nordrhein-westfälische Stadt Overath hat den örtlichen Weihnachtsmarkt laut Rheinischer Post tatsächlich abgesagt, weil die Kosten für Terrorabwehrmaßnahmen nicht mehr zu bewältigen waren. Auch Weihnachtsmärkte in Dortmund und Rostock wurden laut einem Faktencheck der Nachrichtenagentur dpa abgesagt.
Schaustellerbund und Städtetag sehen keine Anzeichen massenhafter Absagen
Doch diese Weihnachtsmärkte sind nur wenige aller Märkte in Deutschland. Sie werden nicht zentral erfasst, eine Annäherung sind Angaben der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Laut GEMA-Vorstandsmitglied Georg Oeller meldeten 2024 die Betreiber von über 7.000 Weihnachtsmärkten deutschlandweit die Nutzung von Musik bei der GEMA an. Auf #Faktenfuchs-Anfrage schreibt die GEMA, dass sie "einen Rückgang an Anmeldungen momentan nicht bestätigen" könne. Sie fügt jedoch an, dass sie eine finale Aussage dazu noch nicht treffen könne, da die Weihnachtsmarktsaison erst beginne.
Christian Schuchardt, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, hatte bereits am 30. Oktober 2025 in einem Interview mit der Mediengruppe Bayern gesagt: "Viele Städte haben in den vergangenen Jahren ihre Sicherheitskonzepte erweitert." Das alles müsse bezahlt werden. Besonders für kleinere Märkte seien die umfassenden Sicherheitsmaßnahmen ziemlich herausfordernd, so Schuchardt. Der bayerische Städtetag schreibt dem #Faktenfuchs dennoch: Es lägen "keine Rückmeldungen aus unserem Mitgliederbereich vor, auf deren Grundlage wir ein ‘massenhaftes’ Absagen von Weihnachtsmärkten bestätigen könnten".
Ähnlich äußert sich der Deutsche Schaustellerbund (DSB). DSB-Präsident Albert Ritter sagte in einem Pressestatement: "Uns liegen nach eigener Recherche im gesamten Bundesgebiet lediglich vereinzelte Absagen von kleinen Weihnachtsmärkten vor". Die große Mehrheit der Märkte werde stattfinden, so Ritter. Der Deutsche Schaustellerbund vertritt laut eigener Angabe "die große Mehrheit der deutschen Schaustellerinnen und Schausteller". Diese seien zu 90 Prozent auch auf deutschen Weihnachtsmärkten tätig.
Zwar seien nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz neue Sicherheitsvorkehrungen eingeführt worden, so der DSB auf #Faktenfuchs-Anfrage. "All das bereitet auch Kosten, sodass die Diskussion, wie viel Sicherheit möglich und nötig ist, wie viel sie kosten darf und von wem diese Kosten zu tragen sind, allgegenwärtig ist und auch uns als Verband beschäftigt." Es gebe aber keine Diskussion darüber, ob die Weihnachtsmärkte stattfinden.
Warum eignen sich Weihnachtsmärkte so gut für Falschmeldungen?
Gerade Weihnachtsmärkte sind häufig ein Thema, um das sich Falschinformationen drehen.
Die aktuelle Weihnachtsmärkte-Behauptung solle Gefühle wecken oder verstärken, sagt Richard Kuchta vom Institute for Strategic Dialogue (ISD Germany). Er forscht zu Extremismus, Desinformation und zu manipulativen Kampagnen ausländischer Akteure. "Weihnachtsmärkte gehören zur Kultur in Europa und vor allem in Deutschland. Alle gehen gerne hin, treffen dort Familie und Freunde und verbringen Zeit miteinander vor Weihnachten. Und auf Weihnachtsmärkte gab es auch in den letzten Jahren Angriffe und Anschläge." Viele Menschen fühlten sich deshalb unsicher - und sehen auch die Sicherheitsmaßnahmen. Deshalb könnten sich solche Nachrichten sehr leicht ausbreiten.
In diesem Fall steckt ein Körnchen Wahrheit in der Behauptung - wie es bei Falschinformation vorkommen kann. Einzelne Weihnachtsmärkte wurden wegen der gestiegenen Kosten tatsächlich abgesagt - aber eben nicht massenweise.
Was steckt hinter solchen Weihnachtsmarkt-Gerüchten?
Kuchta sieht in den Falschbehauptungen allgemeine Niedergangserzählungen und migrationsfeindliche Narrative. Es geht dabei um ein Bild von Deutschland, in dem Migranten angeblich die deutsche Kultur verdrängten und ein Sicherheitsrisiko darstellten. Migranten würden die Kosten zum Schutz von Veranstaltungen in die Höhe treiben.
"Migration wird von vielen in Deutschland als Gefahr gesehen; wenn man also vom Niedergang des Landes sprechen möchte, bietet sich Migration als einfaches Thema an, um das widerzuspiegeln." Solche Erzählungen zeichnen Desinformation etwa aus Russland oder von der extremen Rechten in Deutschland aus: Ziel sei es, die Gesellschaft zu destabilisieren - auch, um die eigene Macht auszubauen. Das gelte auch für die Falschbehauptung zu den Weihnachtsmärkten.
Wie verbreiten sich solche Falschinformationen?
Kuchta beobachtet, dass in Fällen wie bei der Weihnachtsmärkte-Behauptung häufig zwei Arten von Akteuren beteiligt sind.
Auf der einen Seite gibt es "alternative Medien": bestimmte Webseiten oder Accounts, die "so tun, als ob sie eine Presseagentur oder ein journalistisches Medium wären, das Nachrichten vermittelt. Aber sie tun das nicht auf journalistische Weise, sondern dienen eher der Propaganda", sagt Kuchta im Gespräch mit dem #Faktenfuchs.
Solche Geschichten griffen dann auf der anderen Seite Akteure wie Influencer auf Plattformen wie TikTok auf und verbreiteten sie weiter, sagt Kuchta. "Die verfolgen dieselben Niedergangs- und Antimigrations-Narrative." Auch, weil sie ähnliche Ziele hätten.
Auf der Webseite, die die Absage-Behauptung verbreitet hatte, sehe man viele europakritische und eher russland- oder chinafreundliche Inhalte, die anderen bekannten Informationsoperationen ähneln, sagt Kuchta. Das heißt, sie erinnern beispielsweise an russische Desinformationskampagnen wie "Doppelgänger" oder "Storm-1516". "Die Narrative wiederholen sich: Deutschland oder Europa sei im Niedergang – und das wird mithilfe unterschiedlicher Geschichten erzählt", so der ISD-Analyst. Die Bilder zu diesen Inhalten sind häufig mit KI produziert.
Auch das Titelbild des Artikels, aus der die Behauptung stammt, ist KI-generiert, genau wie das Profilbild der angeblichen Autorin. Ob die Autorin tatsächlich existiert, bleibt also offen. Andere ihrer Artikel tragen Titel wie "Deutschlands wirtschaftliche Kernschmelze: Das Ende einer Ära?" oder "Zeugnis: Wieso ich Deutschland verlasse: kaputtes System & Zukunftsrisiken". Manche Texte auf der Seite enthalten Hinweise darauf, dass sie ganz oder teilweise von einer KI generiert wurden. Beispielsweise enthält ein Artikel eine Quellenliste mit täuschend echt wirkenden, aber erfundenen Links.
Fazit
Es gibt momentan keine Hinweise darauf, dass in Deutschland massenhaft Weihnachtsmärkte abgesagt werden. Zwar gibt es vereinzelte Berichte über Absagen - diese betreffen aber nur einen kleinen Teil der jährlich tausenden in Deutschland stattfindenden Weihnachtsmärkte.
Die Falschbehauptung passt in die für Desinformation klassische Niedergangserzählung, wie sie etwa prorussische oder rechtsextreme Akteure verbreiten. Sie zielt auf Gefühle, die Menschen mit Weihnachtsmärkten verbinden, und soll verunsichern.
Quellen:
Interviews/Presseanfragen:
Bayerischer Städtetag
Deutscher Schaustellerbund
Deutscher Städtetag
GEMA
Richard Kuchta, ISD Germany
Veröffentlichungen
BR24 #Faktenfuchs: Fakes unterm Weihnachtsbaum
Correctiv, Faktencheck Hintergrund, Narrativ der Desinformation: Migration verdrängt deutsche Traditionen
Deutsche Welle, Faktencheck: Wie Russland versucht, die Wahl zu beeinflussen
Deutsche Welle, Faktencheck: Abgesagte Weihnachtsmärkte in Deutschland?
dpa Factchecking: Gerücht widerlegt: Die große Mehrzahl der Weihnachtsmärkte findet statt
Gema, Musik auf Weihnachtsmärkten: GEMA und BVMV einigen sich auf neuen Tarif
ISD Germany: Wie Russland versucht, in Deutschland vor der Wahl Stimmung zu machen
RP Online, Dieser Weihnachtsmarkt in NRW findet 2025 nicht statt
Städtetag: "Das Entscheidende ist immer, wie Integration gelingt"
Disclaimer, 07.11.2025, 12:32: Wir haben unter der zweiten Zwischenüberschrift das Statement des Deutschen Schaustellerbunds (DSB) aktualisiert. Ursprünglich zitierten wir dort eine DSB-Antwort vom 3.11.2025 auf eine #Faktenfuchs-Anfrage. Demnach war dem DSB "nicht ein einziger Weihnachtsmarkt bekannt, der abgesagt worden wäre". Diese Aussage haben wir mit einem aktuelleren DSB-Statement vom folgenden Tag (4.11.2025) ersetzt. Dieses Statement zitierte DSB-Präsident Albert Ritter mit folgender Aussage: "Uns liegen nach eigener Recherche im gesamten Bundesgebiet lediglich vereinzelte Absagen von kleinen Weihnachtsmärkten vor."
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