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TikTok-Videos schüren mit prorussischen Inhalten die Kriegsangst in Deutschland.
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TikTok-Videos schüren mit prorussischen Inhalten die Kriegsangst in Deutschland.

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#Faktenfuchs: Wie Tiktok-Videos Kriegsangst in Bayern schüren

#Faktenfuchs: Wie Tiktok-Videos Kriegsangst in Bayern schüren

Angebliche Angriffspläne auf das Taurus-Werk in Schrobenhausen oder die mutmaßlichen Auswirkungen einer russischen Invasion – mit solchen Behauptungen schüren TikTok-Accounts Ängste. Welche Strategien dahinterstecken, zeigt dieser #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Darum geht's:

  • Mit Hilfe von KI erstellte Videos, die konkrete Angriffspläne auf das Taurus-Werk im oberbayerischen Schrobenhausen suggerieren, nutzen die Ängste von Userinnen und Usern aus – möglicherweise mit kommerziellem Hintergrund.
  • Die Videos nutzen aber auch den Interessen Russlands, das einen hybriden Krieg führt und die politische Stimmung in europäischen Ländern beeinflussen will.
  • Ein Raketen-Angriff Russlands würde den Nato-Bündnisfall auslösen, Experten sehen das Risiko dafür daher als gering an.

Der Tonfall: bedrohlich. Die Hintergrundmusik: alarmierend. Der Titel: Eilmeldung. Mehrere TikTok-Videos mit dieser Aufmachung behaupten, es gebe eine konkrete Bedrohung durch angebliche Angriffspläne Russlands.

"Das Taurus-Werk in Schrobenhausen soll dem Erdboden gleichgemacht werden! Nur zwei Raketen - das reicht angeblich, um Bayern in Schutt und Asche zu legen", sagt die KI-Stimme in einem Video. Zu sehen sind Fotos und Videoclips von Russlands Präsident Wladimir Putin, dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und Bundeskanzler Friedrich Merz sowie Raketen und Landkarten. In den Untertiteln finden sich Schreibfehler wie "März" statt "Merz".

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TikTok-Videos schüren mit prorussischen Inhalten die Kriegsangst in Deutschland.

User aus der Region Schrobenhausen kommentieren besorgt

Belege für den angeblich drohenden Angriff liefern die Videos nicht. Trotzdem erreichen sie viele TikTok-User, ein Video hat fast 700.000 Aufrufe, mehr als 22.000 Likes und mehr als 3.000 Kommentare. Und sie schüren Angst: Userinnen und User auf TikTok kommentieren besorgt und tauschen sich etwa darüber aus, wie weit ihr Wohnort entfernt liegt von Schrobenhausen in Oberbayern.

Andere befürchten gar einen Atomschlag, einer kommentiert: "Da wächst dann kein Spargel mehr." Auch auf den Plattformen X und Youtube behaupten User wiederholt: "Die erste Rakete wird in Schrobenhausen einschlagen."

Hintergrund: Drohgebärden im russischen Staatsfernsehen

Ursprung der Behauptungen ist vermutlich ein Ausschnitt aus dem russischen Staatsfernsehen von Ende Mai 2025, der ebenfalls im Netz kursiert. Igor Korotchenko, Vorsitzender des Öffentlichen Rates beim russischen Verteidigungsministerium, droht in der Sendung mit einem Angriff auf den Hersteller der Taurus-Marschflugkörper, das Rüstungsunternehmen MBDA in Schrobenhausen.

Ein Beleg für konkrete Angriffspläne Russlands ist das jedoch nicht. Im russischen Fernsehen laufen täglich mehrere Sendungen, die Stimmung machen gegen "den Westen" oder die NATO, schreibt Konstantinos Tsetsos auf Anfrage des #Faktenfuchs. Tsetsos ist Politikwissenschaftler an der Universität der Bundeswehr München. Er betreibt Zukunftsforschung mit Schwerpunkt Sicherheitspolitik und berät das Bundesverteidigungsministerium.

"Ich würde diesen Aussagen nicht viel Wert beimessen", schreibt er. Drohungen wie diese seien eher an das nationale russische Publikum gerichtet und dienen seiner Einschätzung nach dazu, in einer Krisensituation Zustimmung für das Putin-Regime zu generieren.

Raketen-Angriff auf Schrobenhausen "sehr unwahrscheinlich"

Auch Stefan Meister, Politikwissenschaftler und Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), sagt im Gespräch mit dem #Faktenfuchs: "Ich halte es für sehr, sehr unwahrscheinlich, dass Russland mit Raketen Nato-Staaten angreift."

Grundsätzlich gehe es Russland mit seiner hybriden Kriegsführung darum, uns zu verunsichern und zu schwächen, Zweifel an der Unterstützung der Ukraine und den Rüstungsanstrengungen zu säen, "und nicht darum, die Nato anzugreifen, die immer noch das militärisch stärkste Bündnis weltweit ist". Laut Meister gebe es auch keine Anzeichen dafür: "Alles was in diese Richtung läuft, würde ich als Desinformationskampagnen zur Verunsicherung der Bevölkerung bezeichnen." Aussagen aus Militärkreisen, wonach Russland 2029 soweit sei, die Nato anzugreifen, hält er für reine Spekulation. Dies hänge vom Fortgang des Krieges in der Ukraine ab, von der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und der Rolle der USA.

Ein direkter Angriff der Russischen Föderation auf deutschem Territorium würde quasi den Dritten Weltkrieg beginnen, sagt Konstantinos Tsetsos im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Seiner Einschätzung nach versuche Russland, mit seiner hybriden Kriegsführung unterhalb der Schwelle zu bleiben, die einen Bündnisfall nach Artikel 5 im Nato-Vertrag auslöst.

Der Artikel besagt, dass ein bewaffneter Angriff auf ein Mitgliedsland des NATO-Verteidigungsbündnisses als Angriff auf das gesamte Bündnis verstanden wird. Die Nato-Staaten verteidigen sich dann gemeinsam.

Blockaden, Sabotage und Hacker-Angriffe denkbar

Dass das Taurus-Werk in Schrobenhausen zum Ziel werden könnte, halten jedoch sowohl Meister als auch Tsetsos für denkbar. "Das würde wahrscheinlich – falls es einen Angriff gibt – kein Angriff Russlands sein, sondern eher einer von Agenten oder nützlichen Idioten, also radikalisierten Individuen, die sich über Telegram oder sonstige Soziale Medien haben rekrutieren lassen", sagt Tsetsos.

Denkbar seien unter anderem etwa Blockaden, versuchte Eingriffe in Lieferketten oder auch Sabotageakte und Hacker-Angriffe auf kritische Infrastruktur, wie das Stromnetz, so Tsetsos.

Ursprung der Videos unklar

Wer die TikTok-Videos erstellt hat und warum, ist unklar. "Was alle Videos gemeinsam haben, ist erstmal, dass sie KI-generiert sind und dass die de facto ein 13-Jähriger in seinem Kinderzimmer herstellen kann", sagt Tsetsos.

Auch Julia Smirnova, Senior Researcherin im Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), beschreibt die Machart der Videos als "schlampig".

Nicht alle Videos sind klar prorussisch

Julia Smirnova kennt sich mit russischen Desinformations-Kampagnen wie etwa der Doppelgänger-Kampagne oder der Operation Overload aus. Sie hat sich den TikTok-Kanal genauer angesehen. Er verspricht "schnelle Nachrichten" und postet ähnliche Videos mit Falschinformationen auch zu anderen Themen – etwa zum Krieg in Gaza oder zum Verhältnis zwischen Russland und der Türkei.

Manche der TikTok-Videos stuft Smirnova als klar prorussisch ein, weil Russland als Großmacht dargestellt wird. Andere Videos stellen jedoch die Ukraine als stark dar – laut Smirnova untypisch für prorussische Accounts. Eins der Schrobenhausen-Videos endet mit dem Appell, Deutschland müsse handeln. Auch das ist laut Smirnova untypisch für prorussische Accounts, die meist die Botschaft transportieren, dass Deutschland die Hilfe für die Ukraine einstellen und die Konfrontation mit Russland auf jeden Fall vermeiden müsse.

Kommerzieller Hintergrund denkbar

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Menschen hinter diesen Videos vor allem an der Reichweite und an der möglichst großen Anzahl von Followern interessiert sind und deshalb versuchen, starke Emotionen zu bedienen - in diesem Fall Angst", sagt Julia Smirnova im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. In diesem kommerziellen Kontext sieht sie auch die in den Videos enthaltenen Aufrufe, dem Kanal zu folgen und die Inhalte mit anderen zu teilen.

Das reale Gefühl der Kriegsangst werde ausgenutzt, damit Menschen die Videos zu Ende schauen. "Desinformation wird nicht nur mit politischer Absicht verbreitet", sagt Smirnova. Gerade bei TikTok bestünden Möglichkeiten, solche Videos zu monetarisieren, sei es über Werbung oder aber über Vergütungen der Plattform. Um von TikTok Geld zu bekommen, gibt es bestimmte Anforderungen, was die Accountgröße und die erzielte Reichweite der Inhalte angeht. Die Höhe der Vergütung und welche Accounts teilnehmen, ist aber nicht öffentlich einzusehen.

Ängste schüren, Debatten lenken, Politik beeinflussen: Videos nutzen Russland

Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Konstantinos Tsetsos wiederum könnten die Schrobenhausen-Videos entweder von einer Einzelperson erstellt worden sein oder aber von einer Trollfabrik, also einer Organisation, die Desinformationen gegen Geld verbreitet. Die teils widersprüchlichen Framings sind für ihn kein Gegenbeweis, er vermutet darin viel mehr den versuchten Anschein von Neutralität.

In einer Studie hat der Politikwissenschaftler Szenarien russischer Einflussnahme analysiert und erläutert, wie Russland zunehmend eine sogenannte teleologische hybride Kriegsführung betreibt, um die eigenen strategischen und geopolitischen Ziele durchzusetzen. Ziel russischer Desinformation sei es demnach, Angst zu schüren, die Debatte in eine bestimmte Richtung zu treiben, politische Meinungen zu festigen und später zu mobilisieren, sodass die Entscheidungsfindung in einem Zielstaat in eine bestimmte Richtung gedrängt werde, sagt Tsetsos im #Faktenfuchs-Interview.

Diese Strategie Russlands zeige sich auch in anderen Ländern Europas, wo Menschen ähnliche Videos mit anderem Inhalt zu sehen bekommen, sagt er. Vor diesem Hintergrund könnten auch widersprüchliche Videos nützlich für Russlands hybriden Krieg sein.

Kriegsangst wird ausgenutzt

Neben den vermeintlichen Eilmeldungen zu Schrobenhausen kursieren auch andere Videos auf TikTok, die auf Kriegsängste abzielen. Sie zeigen etwa eine Deutschlandkarte, auf der eine Hand mit Buntstiften farblich markiert, welche Regionen von einem Angriff Russlands angeblich am schlimmsten betroffen wären. Die Aufschriften lauten "Russland marschiert ein" oder "Russlands Invasion beginnt".

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TikTok-Videos schüren mit prorussischen Inhalten die Kriegsangst in Deutschland.

Belege oder Quellen werden nicht genannt, stattdessen steht in der Videobeschreibung, dass es sich um hypothetische Szenarien zur Unterhaltung handelt. Diese Einordnung solle den Vorwürfen, dass der Account Falschinformationen verbreitet, zuvorkommen, meint Smirnova.

Weitere Videos des Accounts schüren mit ähnlicher Aufmachung andere Ängste, etwa vor Naturkatastrophen. Die Machart mit einer Karte und einem Stift dient jeweils dazu, die Aufmerksamkeit von Zuschauern zu binden. Auch hier vermutet Julia Smirnova eine Herstellung mit Hilfe von KI und einen kommerziellen Hintergrund.

Kriegsangst weit verbreitet, Bedarf nach Einordnung

Laut einer repräsentativen Umfrage des Center für Monitoring und Strategie (CeMAS) ist Kriegsangst in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet. So geben 41 Prozent der Befragten an, Angst vor einem Dritten Weltkrieg zu haben, 38 Prozent halten neue Kriege in Europa für wahrscheinlich.

Kriege seien längst nicht mehr auf militärische Kampfzonen wie in der Ukraine begrenzt, sondern wirken auch in nicht direkt betroffene Gesellschaften wie Deutschland hinein, sagt Julia Smirnova, die an der Untersuchung mitgewirkt hat. "Die Umfrage zeigt, dass es einen großen Bedarf gibt nach Erklärungen und nach klarer Kommunikation."

Bildung als Schutz vor Beeinflussung

Man dürfe sich trotz der Drohungen Russlands nicht verrückt machen lassen, sagt Konstantinos Tsetsos: "Wenn das Hauptziel des Gegners ist, Angst und Schrecken zu verbreiten, dann arbeiten wir ihm zu, wenn wir in Angst und Schrecken verfallen."

Um sich davor zu schützen, dass das eigene Denken und Fühlen beeinflusst werde, rät er dazu, sich selbst zu reflektieren, neugierig zu bleiben und Dinge kritisch zu hinterfragen. "Lesen und sich bilden im Sinne eines Staatsbürgers auf Grundlage der Verfassung – das ist der beste Schild oder die beste Waffe, die man hat, um sich zu schützen vor Desinformation."

Fazit

Mit Hilfe von KI erstellte Videos, die einen Raketen-Angriff Russlands auf das Taurus-Werk im bayerischen Schrobenhausen fälschlicherweise als realistisches Szenario darstellen, bespielen Ängste von Userinnen und Usern. Die Videos haben möglicherweise einen kommerziellen Hintergrund und nutzen gleichzeitig den Interessen Russlands, das einen hybriden Krieg führt.

Ein solcher Angriff ist laut Politikwissenschaftlern aber sehr unwahrscheinlich. Er würde den Nato-Bündnisfall nach sich ziehen, was Russland laut Aussagen von Sicherheitsexperten zu vermeiden versucht. Denkbar seien jedoch Aggressionen unterhalb dieser Schwelle, etwa Blockaden von Lieferketten oder Störungen der kritischen Infrastruktur.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Quellen

Interviews/Presseanfragen

Interview mit Julia Smirnova, Senior Researcherin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)

Interview mit Konstantinos Tsetsos, Politikwissenschaftler und Head of Foresight am Metis Institut für Strategie und Vorausschau an der Universität der Bundeswehr München

Interview mit Stefan Meister, Politikwissenschaftler und Leiter des Zentrums für Ordnung und Governance in Osteuropa, Russland und Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

Veröffentlichungen

(K)Ein bisschen Frieden? Kriegsängste als Katalysatoren für gesellschaftliche Spaltungsprozesse, Research Paper vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS)

Szenarien russischer Einflussnahme bis 2030, Metis-Studie der Bundeswehruniversität München

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