Drohungen, Schläge, sexuelle Gewalt – bis hin zum Mord: Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland hat nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) im vergangenen Jahr mit fast 266.000 erfassten Betroffenen einen neuen Höchststand erreicht. Häusliche Gewalt trifft vor allem Frauen. Allein in Bayern gab es im vergangenen Jahr 40 Morde an Frauen.
Was bringt die geplante Fußfessel? Und wie kann man Femizide verhindern? BR24 sprach mit dem Akademischen Mitarbeiter des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen, Florian Rebmann, der an der Studie "Femizide in Deutschland" [externer Link] beteiligt war.
BR24: Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland ist erneut gestiegen. Die Dunkelziffer ist hoch. Warum trauen sich Frauen nicht, Gewalt anzuzeigen?
Florian Rebmann: Da gibt es verschiedene Gründe. Nach unserer Studie haben Opfer von häuslicher Gewalt oft die Befürchtung, dass eine Anzeige zu einer weiteren Eskalation führen könnte. Oft entscheiden sich Opfer deshalb gegen eine Anzeige. Und man muss auch sehen, dass der Gewaltverlauf in diesen Beziehungen nicht immer gleich ist: Es gibt Phasen mit mehr Gewalt und Phasen mit weniger.
Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur elektronischen Fußfessel auf den Weg gebracht. Wird das aus Ihrer Sicht das Leben von Frauen sicherer machen?
Für manche ja, aber für die große Masse der gewaltbetroffenen Frauen nein. Die Fußfessel soll ja im Gewaltschutzgesetz verankert werden. Da müssen die Opfer zum Familiengericht gehen. Meistens muss man sich auch einen Anwalt holen, muss mehrere Anträge stellen. Da wird viel von den Opfern verlangt, um diese Maßnahme zu erhalten.
Oft fehlen den Opfern von häuslicher Gewalt Beweise. Was raten Sie Betroffenen?
Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren: Zum Beispiel Gedächtnisprotokolle schreiben, Fotos von Verletzungen machen, Chats sichern, in denen der Täter zum Beispiel droht. In immer mehr Städten gibt es Anlaufstellen in Kliniken, wo man - ohne sich direkt entscheiden zu müssen, ob man eine Anzeige erstatten will - hingehen kann, um Beweise sichern zu lassen. Das sollte man tun.
Die Gerichte sind überlastet, oft dauert es von der Anzeige bis zum Prozess sehr lange. Das ist für Frauen oft eine gefährliche Zeit …
Absolut, das kann gefährlich sein. Je nachdem, wie schwer die Tat war, kann es sein, dass der Täter in Untersuchungshaft kommt, aber bei nicht ganz so schweren Delikten, ist das eher selten. Wir haben in unserer Studie untersucht, inwieweit es vor den Tötungen zu Verurteilungen der Täter gekommen ist. Das war wirklich nur in sehr seltenen Fällen der Fall. Das heißt, manchmal kommt das Urteil gegen den Täter zu spät.
Sie haben sich 292 Fälle angeschaut, die als Tötungsdelikte an Frauen in die Polizeiliche Kriminalstatistik eingegangen sind. Wer sind die Täter?
Es sind überwiegend Männer zwischen 40 und 50 Jahre, die in der Beziehung oder auch außerhalb schon Gewalt ausgeübt haben. Viele haben psychische Auffälligkeiten oder sind suchtkrank. Es sind Männer aus allen Gesellschaftsschichten vertreten. Aber es gibt eine Häufung von Männern mit geringem sozialen Status, die zum Beispiel erwerbslos sind. Und es gibt auch einen höheren Anteil von Männern mit Migrationserfahrung. Das hängt vor allem mit Stress, bedingt durch die Migration oder zum Beispiel auch der sozialen Isolation zusammen.
Manchmal bekommen Männer, obwohl sie gegenüber der Partnerin gewalttätig waren, ein Umgangsrecht für gemeinsame Kinder. Hebelt das nicht den Opferschutz aus?
Das ist ein schwieriges Thema. Eigentlich hat jedes Elternteil das Recht, Kontakt zu den Kindern zu haben. Wir haben in unserer Studie schon gesehen, dass die Umgangsregelung dem Gewaltschutz sozusagen entgegenwirkt. Dann kommen Ex-Partner - zum Beispiel, wenn Kinder übergeben werden müssen - immer wieder zusammen. Acht Prozent der Täter haben solche Situationen auch ausgenutzt, um die Frau anzugreifen. Aber: Wenn Täter intensiv gewalttätig sind, kann das Umgangsrecht bereits jetzt eingeschränkt werden.
Eine am Donnerstag veröffentlichte WHO-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Frauen und Mädchen in Europa keine ausreichende medizinische und psychologische Hilfe bekommen. Auch von der Justiz fühlen sich viele Frauen nicht verstanden. Was bräuchte es aus ihrer Sicht?
Es würde auf jeden Fall helfen, das Thema Gewalt in Partnerschaften in der juristischen Ausbildung tiefer zu verankern. Allgemein sollte man - egal wer mit Opfern zu tun hat - mit Verständnis auf die Frauen zugehen. Oft wirkt es so, als würden sie sich widersprüchlich verhalten. Einmal wollen sie Hilfe, dann wieder nicht. Man muss wissen: Es gelingt den Tätern immer wieder, die Opfer zu beschwichtigen. Deshalb sollte man nicht resignieren, sondern immer wieder Hilfe anbieten.
Florian Rebmann
💡 Was ist ein Femizid?
Unter dem Begriff Femizid sind alle Tötungen von Mädchen und Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts umgebracht werden, zu verstehen. Die Tötung durch den Partner oder Ex-Partner macht nur einen Teil der Femizide aus, der Täter kann aber beispielsweise auch der Bruder oder der Cousin sein.
Das European Observatory on Femicide, eine europäische Beobachtungsstelle bei Femiziden, sammelt in mehreren Ländern Daten und wertet diese aus. Seit Jahren bemühen sich Soziologen, Feministinnen und Politiker unter anderem von B‘90/Grüne und Die Linke um eine juristische Anerkennung des Begriffs.
Hilfe bei Gewalt
Sollten Sie selbst von Gewalt betroffen sein: Die Hilfetelefone "Gewalt gegen Frauen" und "Gewalt an Männern" beraten kostenfrei und anonym. Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" erreichen Sie unter 08000/116016, das Hilfetelefon "Gewalt an Männern" unter 0800/123 9900.
Auch der "Weisse Ring" hilft Menschen, die Opfer von Gewalt und Kriminalität geworden sind. Sie erreichen den "Weissen Ring" telefonisch unter 116 006.
Bundesweite Frauenhaus-Suche https://www.frauenhaus-suche.de/
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