Neugeborenes Baby, dessen Hand gehalten wird
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Neugeborenes Baby in einem Inkubator (aufgenommen im Jahr 2023)
Bildrechte: picture alliance / Zoonar | Svetlana
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"Gruselig und schön": Baby-Verwechslung nach 35 Jahren geklärt

"Gruselig und schön": Baby-Verwechslung nach 35 Jahren geklärt

Zwei Babys, die in der Klinik vertauscht werden. Eine Frau, die jahrelang erfolglos ihre leiblichen Eltern sucht. Und ein Familientreffen, das die Zeit der Ungewissheiten für alle Beteiligten beendet. Über eine Geschichte, die Österreich berührt.

Es passiert wahrlich nicht oft, dass Babys kurz nach der Geburt vertauscht werden. Dass diese Verwechslung erst mehr als zwei Jahrzehnte danach bemerkt wird. Dass die eine Familie die andere ein weiteres Jahrzehnt erfolglos sucht. Dass DNA-Tests und öffentliche Aufrufe lange erfolglos bleiben und letztlich erst eine erneute Schwangerschaft trotz des anfänglichen Widerwillens der werdenden Mutter zu einer Art Familienverschmelzung führen, die Doris Grünwald im ORF nun als "unbeschreiblich gutes Gefühl" beschreibt. Jessica Baumgartner-Derler sagt ebendort: "Es ist gruselig und gleichzeitig schön."

Vertauscht bei der Geburt in Graz

Herbst 1990, Steiermark, Uni-Klinikum Graz. Doris und Jessica kommen auf die Welt. Beide sind Frühchen. Gleiches Gewicht, erst Brutkasten, dann Wärmebettchen.

Alles verläuft gut, doch bei der Entlassung unterläuft dem Klinikum ein folgenschwerer Fehler. Die Babys werden vertauscht – die Eltern werden mit dem Kind der jeweils anderen nach Hause geschickt. Keiner merkt etwas. Die Jahre vergehen, Doris erlebt bei den Grünwalds eine nach allem Ermessen glückliche Kindheit und Jugend, Jessica selbige bei den Derlers. Beide schlagen beruflich ähnliche Wege ein, leben mit ihren Familien nicht weit voneinander entfernt – ohne es zu ahnen.

Blutprobe und DNA-Test bringen Klarheit

Im Jahr 2012 erfährt Doris als 22-Jährige beim Blutspenden, dass sie die Blutgruppe 0 mit Rhesusfaktor positiv besitzt. In ihrem Mutter-Kind-Pass steht: A mit Rhesusfaktor negativ. Wie kann das sein? Wurde die Blutprobe mit der einer anderen Person verwechselt? Nein. Die Hausärztin bekräftigt das, was ein DNA-Test zur Gewissheit macht: Doris ist mit ihren Eltern nicht verwandt. Nicht nur für sie, sondern auch für ihre (nun erwiesenermaßen nicht leibliche) Mutter Evelin Grünwald ein Schlag vor den Kopf. Letztere will 2016 via TV wissen: "Geht es meinem Kind, das ich geboren habe, auch gut?" Interessieren würde sie zudem, sagt sie damals, ob sie vielleicht schon Oma geworden ist.

Antworten erhält sie viele Jahre nicht, obwohl auch Doris über die Medien ihre biologischen Eltern sucht und das Grazer Klinikum mit Gratis-Gentests unterstützt. Kein Treffer. Der Weg der Grünwalds durch die Gerichtsinstanzen hingegen ist erfolgreich. Die Familie samt der inzwischen adoptierten Tochter Doris erstreitet mehrere zehntausend Euro von der Krankenhausholding für den Fehler, den das Grazer Uniklinikum heute "zutiefst bedauert". Und aus dem es gelernt hat: Zusätzlich zum 1990 schon gängigen Armband für Mutter und Kinder gibt es heute etwa ein Identifikationsarmband am Fußgelenk des Neugeborenen.

"Einschnitt im Leben"

Die Derlers erfahren von dem Fall aus den Medien, denken sich aber nichts dabei. Oder wollen sich vielleicht auch nicht vorstellen, dass sie es sind, die von ihrem leiblichen Kind Doris gesucht werden, wie Monika Derler jetzt einräumt. "Es ist doch ein Einschnitt im Leben, es ist jetzt nichts so was Alltägliches." Also tut sich erstmal: nichts.

Bis die von ihnen großgezogene Jessica schwanger ist und Untersuchungen ergeben: Auch ihre Blutgruppe stimmt nicht mit der einst registrierten überein. Ihre Hausärztin weist sie auf den Fall Grünwald hin. Jessica und Doris nehmen nun über ein soziales Netzwerk Kontakt auf, schicken einander Fotos, registrieren sofort äußere Ähnlichkeiten mit ihren bisher unbekannten biologischen Eltern. Doris ist für einen DNA-Test – Jessica dagegen. Gedankenchaos, sagt sie rückblickend. "Ich bin in Panik geraten. Was ist, wenn die vor meiner Haustür stehen?" Die Grünwalds – also Jessicas leibliche Eltern – fordern den Test ein. Zum Glück, meint Evelin Grünwald, findet mittlerweile auch Jessica.

Das erste Treffen

Herbst 2025. Das erste Treffen in gemeinsamer Runde. Die Stimmung ist entspannt, bisweilen heiter. Familienfotos werden betrachtet, Hände gehalten. Keine Hemmschwellen, sagt Doris. Monika Derler, ihre leibliche Mutter, freut sich über die gute Chemie. Doris sei so lieb – aber auch Jessica werde immer ihr Kind bleiben. Und für Jessica fühlt es sich an, sagt sie, als habe sie nach 35 Jahren eine Schwester.

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