Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich alarmiert gezeigt über den Anstieg der Zahl an Pflegebedürftigen. "Demografisch bedingt wäre 2023 nur mit einem Zuwachs von rund 50.000 Personen zu rechnen gewesen. Doch tatsächlich beträgt das Plus über 360.000", sagte der SPD-Politiker dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das sind 310.000 Menschen mehr als prognostiziert.
"Woran das liegt, verstehen wir noch nicht genau." Lauterbach sprach von einem "akuten Problem in der Pflegeversicherung".
Als Ursache für den "explosionsartigen" Anstieg geht Lauterbach von einem "Sandwich-Effekt" aus. "Zu den sehr alten, pflegebedürftigen Menschen kommen die ersten Babyboomer, die nun ebenfalls pflegebedürftig werden", sagte der Minister. Erstmals gebe es zwei Generationen, die gleichzeitig auf Pflege angewiesen seien: "Die Babyboomer und deren Eltern." Das stelle das Pflegesystem vor besondere Herausforderungen.
Leistungsniveau der Pflege mit derzeitigem Beitragssystem nicht haltbar
Zwar machte Lauterbach deutlich, dass man das Leistungsniveau der Pflege mit dem jetzigen Beitragssystem allein nicht erhalten könne. Mittel- und längerfristig sei eine solidere Form der Finanzierung der Pflege notwendig. Eine umfassende Finanzreform in der Pflege werde in dieser Legislaturperiode aber wahrscheinlich nicht mehr zu schaffen sein, sagte er.
Auch eine interministerielle Arbeitsgruppe werde "wohl kaum zu einer einheitlichen Empfehlung" kommen. Dafür seien die Ansichten der verschiedenen Ministerien beziehungsweise der Koalitionspartner zu unterschiedlich. Die Arbeit der Gruppe sei aber eine gute Grundlage für eine große Pflegereform in der nächsten Wahlperiode. "Dann muss sie aber auch kommen."
Im Video: Medizinmanagement-Experte Nagel über Herausforderungen bei der Pflege
Lauterbach für Bürgerversicherung und höhere Steuerfinanzierung
Er selbst plädiere für eine Bürgerversicherung in der Pflegeversicherung und eine stärkere Steuerfinanzierung, etwa für die Rentenbeiträge pflegender Angehöriger.
Zugleich regte Lauterbach einen Umbau der Sozialhilfe für pflegebedürftige Menschen an. "Viele Betroffene empfinden es als entwürdigend, am Ende ihres Lebens, in dem sie hart gearbeitet haben, auf das Sozialamt angewiesen zu sein", erklärte er. Um den Betroffenen den Gang zum Sozialamt zu ersparen, könnten künftig die Pflegekassen die "Hilfe zur Pflege" auszahlen. Um das zu finanzieren, müssten allerdings die bei den Kommunen eingesparten Steuergelder an die Pflegeversicherung fließen.
Harsche Kritik von Patientenschützern und aus Bayern
Kritik an der Äußerung Lauterbachs kam von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Es gehe um leidende Menschen, sagte Vorstand Eugen Brysch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Begriff "explosionsartig" sei in diesem Zusammenhang "schief". Dass der Minister die Kommunen verpflichten wolle, sei rechtlich nicht ohne weiteres möglich, so Brysch: "Politische Stimmungsmache auf Kosten der Pflegebedürftigen."
Auch aus Bayern gibt es Kritik. Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) möchte mit einer Pflegereform nicht warten. "Eine Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung ist längst überfällig", so Gerlach in einer Pressemitteilung.
Es sei zwar zu begrüßen, dass Lauterbach auf die Probleme in der Pflege hinweise. "Aber es kann nicht sein, dass er unter Verweis auf die unterschiedlichen Ansichten 'der verschiedenen Ministerien beziehungsweise der Koalitionspartner' auf ein sofortiges Handeln verzichtet." Gerlach bezeichnete dies als "Kapitulation Lauterbachs".
Mit Informationen von dpa und KNA
Im Video: Studie der DAK – Bayern droht dramatischer Pflegenotstand
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