Graue Schleier dämpften diese Woche die Stimmung in Berlin. Am Freitag tritt erstmals die 19-köpfige Hauptverhandlungsgruppe zusammen, der Himmel bricht auf, die Sonne strahlt über dem Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale in Berlin. Die Parteichefs von CDU, CSU und SPD dürften wissen, was da auf sie zukommt. Friedrich Merz gibt zu, zum ersten Mal in der SPD-Zentrale zu sein. CSU-Chef Markus Söder dagegen, dass er schon oft hier gewesen sei, auch viele Nächte lang bei der Bildung der letzten gemeinsamen Koalition. "Ich hoffe, das wird diesmal besser werden."
Mammutaufgabe: Pläne wieder einsacken
Doch die Aussichten, dass das klappt, sind eher gering. Die von Tag eins der Verhandlungen geleakten Papiere der 16 Verhandlungsgruppen zeigen in unterschiedlichem Ausmaß farbige Stellen und Textteile in Klammern. Das signalisiert: Uneinigkeit. Vermögenssteuer, wie sie die SPD will, Unternehmenssteuersenkung, wie sie die Union gern hätte, Tempolimit, Abschaffung des Ehegattensplittings – vieles davon wird nun wohl wegverhandelt werden. Jens Spahn (CDU), Gesundheitsminister a.D. und Ministerkandidat für die neue Koalition, gibt sich im Morgenmagazin von ARD und ZDF salomonisch: "Wir wissen voneinander, wo die Grenzen sind und überfordern uns auch nicht."
Vieles wird auch mit Zahlenakrobatik nicht möglich sein
Würden die Arbeitsgruppenpläne beider Parteien umgesetzt, entstünde laut überschlägigen Berechnungen des Bundesfinanzministeriums und Haushältern der zukünftigen Koalition eine Finanzierungslücke von an die 600 Milliarden Euro. Die Freude über das 162-seitige Papier der Arbeitsgruppen fällt deshalb bei manchem eher gering aus: "In der Tat habe ich das Gefühl, dass bei manchen Arbeitsgruppen – nicht bei allen – die Überschrift lautet: Wünsch dir was", sagt CDU-Chef Merz. Vermutlich wird vieles auch mit viel Zahlenakrobatik nicht in Politik übersetzt werden können. Einer, der seine Ankündigungen bereits für gesichert hält, ist CSU-Chef Söder. Ausweitung der Mütterrente? Kommt, gibt sich Söder ebenfalls im Morgenmagazin überzeugt. Ähnliches gilt für den Gastro-Mehrwertsteuersatz. Und Söder scheint auch bei der Migration guter Dinge zu sein.
Söder zur Migration: Alles wird wie vor 2015
Söder sagt einen bemerkenswerten Satz: Bei der Migration werde es "wirklich wieder so werden wie vor 2015". Das Wie erklärt Söder "mit Zurückweisungen und auch mit Abschiebungen". Mit "2015" meint Söder die große Fluchtbewegung nach Europa, deren Hauptlast Deutschland und dort die Kommunen tragen mussten. Die meisten Menschen flohen damals vorm Bürgerkrieg in Syrien. Die Union forderte schon vorm Wahlkampf Zurückweisungen an den deutschen Außengrenzen. Die Koalitionsverhandler hatten sich jedoch nur auf einen Formelkompromiss einigen können: Zurückweisungen sollen in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbaren möglich sein. Ob das bedeutet, dass Nachbarstaaten über dieses Vorgehen informiert werden sollen oder erst zustimmen müssen, darüber gehen die Meinungen zwischen Union und SPD auseinander. Ein weiterer Fall für die Hauptverhandlungsgruppe.
Union will Staatsbürgerschaft reformieren, Leistungen kürzen
Auch die Frage, ob "Terrorunterstützern, Antisemiten und Extremisten", die "zur Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufrufen" die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen werden kann, wenn sie eine weitere besitzen, wird dort wohl entschieden werden. Die Unionsunterhändler wollen Asylverfahren in Ländern außerhalb der EU ermöglichen. Die Sozialleistungen für Ausreisepflichtige "auf das verfassungsrechtlich Erforderliche" kürzen, es sei denn, die Ausreise findet unverschuldet nicht statt. Wer bereits Schutz in einem anderen Land bekommen hat, soll nur noch Überbrückungsleistungen für zwei Wochen und Reisebeihilfe erhalten.
Koalitionsverhandler wollen Ampel-Fehler vermeiden
"Die Aneinanderreihung von vielen guten Forderungen macht noch keinen Koalitionsvertrag aus", sagt SPD-Chef Lars Klingbeil beim Verhandlungsauftakt der Chefs. Auch am Samstag sollen die Finanzen im Vordergrund stehen. Man wollte unbedingt den Fehler der Ampel-Koalition verhindern, die gute Dinge aufgeschrieben habe, die aber nicht finanziert gewesen seien. Söder gibt zu, dass es in ein paar Punkten "noch unterschiedliche Auffassungen" gebe, "aber wir werden es gemeinsam dann schon wuppen". Und dann hört er sich fast ein bisschen wie Robert Habeck von den Grünen an: Wichtig sei, sagt Söder, dass es der künftigen Koalition gelinge, "neue Hoffnung" in Deutschland zu schaffen. "Ein bisschen mehr Optimismus."
Im Video: Entwurf für Regierungspläne vorgestellt
Nach Beratungen in 16 Arbeitsgruppen werden die Verhandlungen jetzt mit den Spitzenpolitikern der Parteien fortgesetzt.
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