Eine Frau zählt Münzen aus einem roten Portemonnaie.
Eine Frau zählt Münzen aus einem roten Portemonnaie.
Bild
Die Sozialsysteme in Deutschland verschlingen viel Geld - Union und SPD wollen sie deshalb reformieren. Wie ist aber noch offen.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Jan Woitas
Schlagwörter
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Jan Woitas
Audiobeitrag

Die Sozialsysteme in Deutschland verschlingen viel Geld - Union und SPD wollen sie deshalb reformieren. Wie ist aber noch offen.

Audiobeitrag
>

Hitzige Debatte: Können wir uns den Sozialstaat so noch leisten?

Hitzige Debatte: Können wir uns den Sozialstaat so noch leisten?

Kaum ist die parlamentarische Sommerpause zu Ende, da wird in Berlin hitzig über die Zukunft des Sozialstaats diskutiert. Um welche Summen geht es? Wo sind die größten Baustellen? Antworten auf wichtige Fragen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 TV am .

"Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." So steht es im Grundgesetz. Damit hat das sogenannte "Sozialstaatsprinzip" Verfassungsrang. Aber was bedeutet das konkret? Die Diskussion darüber ist so alt wie der Sozialstaat selbst. Gerade kommt sie in Fahrt, weil Schwarz-Rot einen "Herbst der Reformen" angekündigt hat. Ein Überblick.

Was hat die aktuelle Debatte über den Sozialstaat ausgelöst?

Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf eine grundsätzliche Reform des Sozialstaats geeinigt. Doch wie grundsätzlich diese Reform wird, ist strittig. Gerade erst hat Friedrich Merz die CDU-Position deutlich gemacht. "Wir können uns dieses System, das wir heute so haben, einfach nicht mehr leisten", sagte der Kanzler bei einem Landesparteitag in Nordrhein-Westfalen. Und kündigte "schmerzhafte Entscheidungen" an.

Die CSU sieht es ähnlich. Parteichef Markus Söder sagte vor Kurzem im ARD-Sommerinterview: "Keiner will den Sozialstaat schreddern." Man müsse ihn aber "updaten" – im Sinne von mehr Effizienz und Treffsicherheit. Sozialleistungen sollten aus Sicht der Union auf wirklich Bedürftige beschränkt werden.

Wie hat die SPD auf den Merz-Vorstoß reagiert?

Gereizt. Parteichefin Bärbel Bas platzte bei einer Veranstaltung der SPD-Jugend der Kragen: Die Debatte darüber, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar, sei "Bullshit". Und von der Parteijugend selbst ist zu hören, Leistungskürzungen in der Sozialversicherung seien mit der SPD nicht zu machen.

Wie viel Geld wird denn für Soziales ausgegeben?

Insgesamt waren es im vergangenen Jahr mehr als 1,3 Billionen Euro. Das geht aus einer Statistik der Bundesregierung hervor, die mit Schätzwerten arbeitet. Damit hat der Staat 2024 fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung für Soziales ausgegeben. Der größte Brocken entfiel auf die klassische Sozialversicherung. Und hier machte die gesetzliche Rente mit rund 408 Milliarden den Löwenanteil aus. Hinzu kamen Milliardensummen für Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung.

Der zweitgrößte Posten im sogenannten Sozialbudget sind Jugend-, Sozial- und Eingliederungshilfen. Die Ausgaben hierfür beliefen sich vergangenes Jahr auf knapp 130 Milliarden Euro. Unter Eingliederungshilfen versteht man Leistungen für Menschen mit Handicap. Drittgrößter Ausgabenposten waren Pensionen und sogenannte "Beihilfen" für Beamte. Sie schlugen mit 105 Milliarden Euro zu Buche.

Wo sind Reformen am dringlichsten?

Da gehen die Meinungen auseinander. Etliche Wirtschaftswissenschaftler sehen großen Handlungsbedarf bei der Rente. Vom Münchner Ifo-Institut etwa heißt es: "Das Rentensystem in Deutschland muss dringend reformiert werden." Die Ökonomen befürchten, dass sonst die Kosten aus dem Ruder laufen und die Lasten für die Jüngeren "unzumutbar" werden. Hintergrund ist der demografische Wandel: Statistisch gesehen kommen auf einen Rentner immer weniger Beitragszahler.

Schwarz-Rot setzt die Prioritäten woanders. "Die größte soziale Ungerechtigkeit ist das Bürgergeld", sagte CSU-Chef Söder vergangene Woche. Er verwies unter anderem darauf, dass knapp die Hälfte der Empfänger Nicht-Deutsche seien und bisher kaum etwas in die Sozialkassen hätten einzahlen können. Auch die CDU dringt auf eine umfassende Bürgergeldreform – und setzt auf Einsparungen.

Wie viel wird fürs Bürgergeld ausgeben?

Die Summe belief sich im vergangenen Jahr auf gut 58 Milliarden Euro. Große Teile davon finanziert der Bund. Die Union hofft, diese Summe zu verringern. Sie hat vor allem Empfänger im Blick, die grundsätzlich arbeiten könnten. Im Gespräch sind härtere Regeln dafür, welche Jobs als zumutbar gelten. Und schärfere Sanktionen für solche, die ohne nachvollziehbaren Grund Termine im Jobcenter versäumen.

Etwaige Einschnitte beim Bürgergeld müssten allerdings unter rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Denn das Bundesverfassungsgericht hat einen Rechtsanspruch auf ein Existenzminimum formuliert, das beispielsweise Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung umfasst.

Wie geht es weiter mit dem Sozialstaat?

Diese Woche hat eine Kommission zur Reform des Sozialstaats mit der Arbeit begonnen – mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen. Auch Vorschläge von Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie Konzepte aus Wissenschaft und Praxis sollen einbezogen werden, so das Arbeitsministerium. Das SPD-geführte Haus betont, dass am "sozialen Schutzniveau" nicht gerüttelt werde. Eine Vorgabe, die in der Koalition für Diskussionen sorgen dürfte.

Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich an diesem Mittwoch. Dann treffen sich die Koalitionsspitzen zu einer regulären Sitzung. Das aktuell wichtigste Thema für Schwarz-Rot: das gemachte Reformversprechen in konkrete Politik umzuwandeln.

Im Video: Bürgergeld, Rente & Co. - Muss der Sozialstaat weg, geht Deutschland kaputt? | Possoch klärt

Interview mit Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin vom Deutschen Caritasverband, zur Sozialstaatreform.
Bildrechte: BR
Videobeitrag

Interview mit Eva Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin vom Deutschen Caritasverband, zur Sozialstaatreform.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!