Der Umgang mit der Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die Migrationsdebatte: Es sind die Themen, die zu einer Spaltung führen können. Das sagt die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig im Rahmen eines Interviews mit der Münchner Runde. Dennoch widerspricht Brodnig dem Eindruck, dass Deutschland insgesamt stark polarisiert sei.
Aus wissenschaftlicher Sicht sei Deutschland kein "wahnsinnig gespaltenes Land", erklärt sie. "Was eher vorkommen kann, ist, dass einzelne Themen besonders polarisieren." In ihrem neuen Buch "Wider die Verrohung" beschäftigt sich die Autorin mit dem Ton in gesellschaftlichen Debatten, insbesondere im Netz.
- Zum Podcast: Brodnig:"Deutschland ist nicht wahnsinnig gespalten"
"Als wäre in der Mitte ein Spalt"
Tatsächlich nehmen viele Bürgerinnen und Bürger dies anders wahr: Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach glauben 73 Prozent der Deutschen, dass die Gesellschaft gespalten ist.
Dies zeigt sich auch in einer Umfrage der Münchner Runde auf Bayerns Straßen: Viele Bürgerinnen und Bürger nehmen ebenfalls eine wachsende Spaltung wahr. "Ich glaube einfach, dass die Menschen rücksichtsloser werden gegenüber anderen Menschen", sagt etwa Usub Mirzoyan. Vincent Richter sieht dies ebenso: "Im Endeffekt die politischen Meinungen, also besonders mit der AfD. Jetzt hat ja auch die Linke in der letzten Wahl viele Prozentpunkte dazugewonnen." Auch Günther Lorenz fürchtet ein immer größeres Auseinanderdriften in der Gesellschaft: "Ich glaube, am besten sieht man es, wenn man sich diese Wahlergebnisse anschaut, die alle immer so knapp sind. In Amerika war das so, paar Stimmen links und rechts. Das heißt, es schaut wirklich so aus, als wäre in der Mitte drin ein Spalt."
Online laut - offline verbindend
Aber warum empfinden viele Menschen das Land als gespalten? Für Ingrid Brodnig liegt dies daran, dass viele die Dynamiken des Internets mit der Realität gleichsetzen. Studien belegen demnach, dass Menschen, die kurz zuvor das Internet genutzt haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit hätten, moralische Entrüstung zu empfinden. Im echten sozialen Miteinander sähen Menschen hingegen eher das Verbindende, so Brodnig, "Der Offline-Austausch ist sehr viel wert, weil offline gibt es oft klarere Regeln."
Was der Expertin Hoffnung macht: Diejenigen, die besonders laut und polarisierend auftreten, seien in der Minderheit. In den USA sei etwa für die App TikTok ermittelt worden, dass das aktivste Viertel der Nutzer und Nutzerinnen 98 Prozent aller Inhalte erstelle. Dies seien häufig sehr meinungsstarke Menschen.
Ihr Fazit: "Die Leute, die sehr deftig unterwegs sind, die Meinungs-Exzesse betreiben, die die Welt sehr schwarz-weiß sehen, das ist am Ende die Minderheit." Tatsächlich seien jedoch die Leute, die von dem Krawall profitierten, eine kleine Gruppe. Die Mehrheit, so Brodnig, sei eher erschüttert vom Ton der Debatte – und das sei ein ermutigendes Signal.
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