Parolen gegen Rechtsextremismus und Aufruf zum Verbot der AfD auf Plakaten und Bannern bei einer großen Demonstration in Augsburg 2024.
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Nutzen Anti-AfD-Proteste am Ende doch der AfD? (Archivbild)
Bildrechte: picture alliance / CHROMORANGE | Michael Bihlmayer
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Nutzen Anti-AfD-Proteste am Ende doch der AfD? (Archivbild)

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Nutzen Anti-AfD-Proteste am Ende doch der AfD?

Nutzen Anti-AfD-Proteste am Ende doch der AfD?

Mit Protestparolen und lauter Musik haben etwa 40 Menschen Ende Juli das ARD-Sommerinterview mit AfD-Chefin Alice Weidel massiv gestört. BR24-User diskutieren, ob solche Aktionen die Partei eher stärken. Protestforscher widersprechen.

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Die ARD-Sommerinterviews mit den Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien werden traditionell auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses des Bundestags aufgezeichnet. Als Moderator Markus Preiß dort Ende Juli AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel befragen wollte, gab es lautstarke Proteste vom gegenüberliegenden Spreeufer. Dort hatte die Gruppe "Zentrum für Politische Schönheit" eine Kundgebung mit Lautsprecherwagen organisiert. Ein Großteil des Interviews ging deshalb im Lärm unter.

Welche Wirkung haben Anti-AfD-Proteste?

Unter BR24-Usern entbrannte daraufhin eine Diskussion, wie sinnvoll und berechtigt solche Aktionen sind. User "Brutus" etwa argumentierte in diesem Kontext: "Die AfD wird (...) deutlich gestärkt aus diesen 'Protesten' hervorgehen."

Welche konkreten Effekte Proteste haben, sei grundsätzlich schwer vorauszusehen, gibt die Politikwissenschaftlerin Nina-Kathrin Wienkoop zu bedenken. Sie ist Vorstand des Berliner Instituts für Protest- und Bewegungsforschung und sagt: "Die erhoffte Wirkung eines Protests ist auch selten die tatsächliche Wirkung."

Ziel der Aktion Ende Juli sei es aber wohl nicht gewesen, AfD-Anhänger umzustimmen, sondern dagegen zu protestieren, dass das Interview mit AfD-Chefin Weidel überhaupt stattfand – also gegen die Normalisierung einer Partei, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. "Und das wurde ja auch im medialen Diskurs nach dem Interview deutlich aufgenommen und bekam dadurch eine ganz andere Aufmerksamkeit", so Wienkoop.

Proteste gegen rechtsextremistische Ideologie seien grundsätzlich notwendig, meinte BR24-User "Kyle" damals, fand aber: "Zweifelhaft ist die hier gewählte Form des Protests, da sie der AfD Gelegenheit für ihre Opferrolle gibt."

"AfD ist Meisterin im Kreieren von Opfernarrativen"

"Die AfD ist Meisterin im Kreieren von Opfernarrativen", bestätigen Lennart Schürmann und Meret Stephan vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Die beiden haben eine Studie zum Einfluss von Anti-AfD-Protesten auf Wahlergebnisse verfasst und dabei festgestellt: Solche Proteste haben den Effekt, dass weniger Menschen die Partei wählen.

Dass die AfD sich ständig als Opfer darstelle, sei kein Argument gegen Proteste, auch nicht gegen die Störung des Weidel-Interviews. "Wäre es kein Protest gewesen, hätte sie etwas anderes gefunden, um sich als Opfer darzustellen."

Es sei zudem nicht ausgeschlossen, dass solche Proteste auch eine Wirkung auf mögliche AfD-Wähler haben: "Wir wissen aus der Forschung, dass viele Leute weniger politisch festgelegt sind, als oft angenommen. Gerade daher ist es wichtig, dass die Rechtsextremen auch laute Gegenstimmen zu hören bekommen."

Wie wirkt welche Art von Protest?

Wann Proteste wirksam und sinnvoll sind, sei immer stark vom Kontext abhängig, betonen Stephan und Schürmann. Grundsätzlich gelte: Straßenproteste sind sichtbarer und damit wirksamer als Online-Petitionen. "Auch juristische Formen von Protest können sehr wirkungsvoll sein – wie beispielsweise die Klimaklagen eindrücklich zeigen." Insgesamt lasse sich festhalten: "Proteste sind tendenziell wirksamer, wenn sie gewaltfrei sind. Gewaltvolle Proteste finden in der Gesellschaft oft weniger Akzeptanz."

Der Protest am Spreeufer war gewaltfrei, die Polizei leitete lediglich Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten ein, da die Versammlung nicht angemeldet war. BR24-User "TomDON" fand die Aktion dennoch undemokratisch und kommentierte: "(...) Wo sind wir hingekommen, dass man die Rede eines Gegners mit Kreischerei übertönt? Sorry, Leute: Solche Aktionen sind Geschenke an die AfD und ein Armutszeugnis für den politischen Diskurs."

Protestforscherin: Auch laute Störung hat Berechtigung

Auch lautstarke Störungen haben ihre Berechtigung in der Demokratie, sagt Protestforscherin Nina-Kathrin Wienkoop. Es sei wichtig, dass Menschen ihr im Grundgesetz verankertes Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit ausübten. So bekämen sie das Gefühl, nicht machtlos zu sein: "Diese Wirkung auf das eigene Alltagsverhalten, das eigene Engagement, die Zivilcourage ist essenziell fürs demokratische Zusammenleben."

Die Teilnahme an Protestveranstaltungen sei zudem oft ein erster Schritt zur Vernetzung von Akteuren, ergänzen Meret Stephan und Lennart Schürmann. "Bei Demonstrationen begegnen sich Menschen, die gemeinsam für eine Sache auf die Straße gehen. Hierbei werden Menschen politisiert und es entstehen neue Kontakte, aus denen oft weiteres politisches Engagement entsteht. Diese langfristigen Sozialisationsaspekte von Protest sollte man nicht außer Acht lassen."

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