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Proteste in der Türkei: Druck auf Medien, Künstler werden lauter

Proteste in der Türkei: Druck auf Medien, Künstler werden lauter

Seit Tagen gehen in der Türkei Hunderttausende Menschen auf die Straßen. Künstler und Wissenschaftler, die die Proteste unterstützen, geraten zunehmend unter Druck, ebenso wie Medienvertreter, die von den Demonstrationen berichten.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk äußerte sich zuletzt nur noch selten politisch. Nun kritisierte der bekannteste türkische Schriftsteller auf der Nachrichtenseite "T24" die "erschreckenden politischen Entwicklungen" in seiner Heimat. Die ohnehin eingeschränkte Demokratie in der autoritär regierten Türkei ende damit, "dass der Kandidat, der beim Volk am beliebtesten ist und bei der nächsten Wahl die meisten Stimmen erhält, ins Gefängnis geworfen wird". Gemeint ist die Verhaftung des beliebten Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem Imamoglu von der CHP.

Anwalt von Imamoglu zwischenzeitlich festgenommen

Inzwischen ist nicht nur Imamoglu in Haft, sondern auch sein Anwalt wurde zunächst festgenommen, unter Auflagen jedoch wieder freigelassen. Ihm werden laut einem Bericht des oppositionellen Senders "Halk TV" Geldwäschevergehen vorgeworfen. "Lasst meinen Anwalt sofort frei", hieß es in einem auf dem X-Konto Imamoglus veröffentlichten Beitrag. Der Anwalt sei unter fadenscheinigen Gründen festgenommen worden.

Seit Tagen gehen in der Türkei Hunderttausende Menschen auf die Straßen, um gegen die Verhaftung des beliebten Oppositionspolitikers zu demonstrieren, aber nicht nur deshalb. Inzwischen geht es auch um die hohe Inflation, bessere Bildungs- und Jobchancen, mehr Freiheit, mehr Demokratie. Vor allem viele junge Menschen, junge Arbeiter und Angestellte, aber auch Studenten, schlossen sich den Protesten an.

Akademische Titel entzogen

Unterstützung bekamen sie auch von Professoren. Einige wurden daraufhin entlassen oder es wurde ihnen gar ihr akademischer Titel entzogen, so wie auch Imamoglus Uni-Abschluss aberkannt wurde. Rund 50 freie Mitarbeiter des Staatlichen Konservatoriums der Universität Istanbul wurden freigestellt – offiziell wegen dienstrechtlicher Verstöße. Die genauen Hintergründe sind unklar.

Inzwischen solidarisieren sich Künstler und auch Schriftsteller mit den Protesten. In einem Aufruf in den sozialen Medien bekräftigen sie, dass sie angesichts der antidemokratischen Ereignisse nicht schweigen werden. "Auch wir sind auf der Straße und sagen 'nein' zu dieser Ungerechtigkeit."

"Freie Presse, freie Türkei"

Für Medienvertreter wird es unterdessen schwieriger, über die Proteste zu berichten. Die türkische Rundfunkaufsicht RTÜK hatte am Donnerstag ein zehntägiges Sendeverbot gegen den oppositionellen Fernsehsender "Sözcü TV" verhängt. RTÜK warf dem Sender "Anstiftung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit" bei der Berichterstattung über die Massenproteste vor. Daraufhin zogen Demonstranten vor den Sitz von RTÜK und skandierten "Freie Presse, freie Türkei".

Auch Hüseyin Kocabiyik, der wegen seiner Kritik an der Verhaftung Imamoglus aus seiner Partei AKP ausgeschlossen wurde, kritisierte die Entscheidung von RTÜK-Chef Ebubekir Sahin: "Seine jüngste Aktion bestand darin, die Oppositionssender zu sperren. Einen solchen Fehler haben wir nicht einmal in Zeiten von Militärputschen erlebt", schreibt er auf der Plattform X (externer Link auf Türkisch).

"Rest der türkischen Demokratie" kämpft ums Überleben

In einem Gastbeitrag für die britische Zeitung "The Guardian" (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt) kritisiert Orhan Pamuk: "Während die Welt mit Donald Trump, mit den Kriegen zwischen Palästina und Israel, der Ukraine und Russland beschäftigt ist, kämpft der Rest der türkischen Demokratie um sein Überleben."

Dawid Bartelt, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul, betont, dass inzwischen viele Menschen mit ihren Äußerungen vorsichtig seien. Die türkische Justiz sei schon seit Ende vergangenen Jahres gegen Journalisten, aber auch gegen Künstler und Künstlerinnen vorgegangen. "Aber das ist schon ein Zeichen, weil Orhan Pamuk ist eher als jemand bekannt, der sich nicht vorschnell (…) zu politischen Prozessen äußert", so Bartelt. "Und wenn er das jetzt gemacht hat, (…) dann ist das schon ein Zeichen und vielleicht auch ein Zeichen der Ermutigung für andere."

Weltspiegel extra: "Tayyip, tritt zurück!" - heute um 22.20 Uhr in der ARD.

Mit Informationen von dpa

Im Audio: Türkei verärgert über Kritik aus dem Ausland

Journalisten protestieren gegen die Festnahme von Kollegen: "Heute ich, morgen Du", steht auf einem Schild.
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Journalisten protestieren gegen die Festnahme von Kollegen: "Heute ich, morgen Du", steht auf einem Schild.

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