Die nächsten Parlamentswahlen in der Türkei sind erst 2028 – noch eine lange Zeit hin, doch die Zustimmungswerte für die AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sinken. Gleichzeitig steigt die Popularität der oppositionellen CHP des inzwischen inhaftierten Oberbürgermeisters von Istanbul, Ekrem Imamoğlu. Bei den Kommunalwahlen 2024 hatte die Oppositionspartei unter anderem in Istanbul, Ankara und Izmir Wahlsiege errungen.
Türkische Justiz ermittelt seit langem gegen Imamoğlu
Die türkische Justiz ermittelt seit langem gegen den populären Lokalpolitiker, der in der Haft von seiner Partei CHP zum Präsidentschaftskandidaten gewählt wurde. Warum genau jetzt Imamoğlus Universitätsdiplom aberkannt, er wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet wurde und weiter gegen ihn wegen Terrorvorwürfen ermittelt wird, ist unklar. Klar ist aber, dass Imamoğlu für Erdogan ein ernst zu nehmender Rivale ist.
"Ekrem Imamoğlu ist die gewaltigste Herausforderung, der sich Erdogan in seiner gesamten politischen Karriere stellen musste", sagt der Politikwissenschaftler Berk Esen von der Sabanci Universität in Istanbul. "Und ich denke, er [Erdogan] hat richtig kalkuliert, dass, wenn Imamoğlu Präsidentschaftskandidat der CHP wird und so früh, zwei bis drei Jahre vor den Wahlen in seinem Land, einen Wahlkampf beginnt, wird er verlieren."
Nicht alle Demonstranten sind CHP-Unterstützer
Seit mehr als einer Woche gehen die Menschen in der Türkei auf die Straßen, in den Metropolen, aber auch in eher konservativ geprägten Städten in Anatolien oder an der Schwarzmeerküste. Hohe Preise, schlechte Jobchancen, eingeschränkte Meinungsfreiheit – die Probleme der Menschen sind vielfältig, die Wut ist groß. Nicht alle Demonstranten sind Anhänger der CHP, doch viele Menschen hoffen auf den 53-jährigen Imamoglu.
Beobachter bescheinigen dem Oppositionspolitiker, dass er in Istanbul gute Arbeit geleistet habe. So ließ er zum Beispiel, nachdem er 2019 zum Bürgermeister gewählt worden war, erschwingliche Studentenheime bauen und günstige, städtische Restaurants eröffnen. Imamoglus Wahl gab "diesen jungen Menschen Hoffnung auf eine politische Alternative, auf die Möglichkeit eines Wandels", so Berk Esen.
Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei
Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei, heißt es immer wieder. In Istanbul lebt ein Sechstel der gesamten Wählerschaft. Der Politikwissenschaftler Berk Esen betont: "Tatsächlich macht es die Vielfalt der Istanbuler Bevölkerung für einen Politiker, der in Istanbul erfolgreich ist, ziemlich einfach, auch im ganzen Land erfolgreich zu sein." Zudem schafft es der von der türkischen Schwarzmeerküste stammende Politiker nicht nur junge, moderne, säkulare Menschen anzusprechen, sondern auch Konservative und Gläubige. "Und das ist wirklich die richtige Balance, die man bei einem Oppositionspolitiker braucht, um es mit Erdogan aufzunehmen."
Weitere Proteste angekündigt
In der Türkei neigt sich der Fastenmonat Ramadan dem Ende zu. Die CHP kündigte bereits auch über den Ramadan und das Zuckerfest hinaus Proteste an. Für das Wochenende ist in Istanbul eine Großdemonstration im Stadtteil Maltepe auf der asiatischen Seite geplant. Es wird erwartet, dass sich nicht nur CHP-Anhänger anschließen werden, sondern auch Menschen, die die Demokratie in der Türkei in Gefahr sehen, Menschen, die auf einen Wandel hoffen nach rund zwei Jahrzehnten, in denen der inzwischen 71 Jahre alte Erdogan die Politik in der Türkei geprägt hat.
Der in Silivri inhaftierte Ekrem Imamoğlu rief auf der Plattform X (Externer Link auf Türkisch) dazu auf, sich dem Protest in Maltepe anzuschließen: "Alle, deren Herz für Gerechtigkeit und Liebe für das Land schlägt, werden sich in Maltepe treffen." Unterdessen verlängerte die Regierung die Zuckerfest-Ferien in der kommenden Woche für alle Beamten im Land um drei Tage – ob dahinter das Kalkül steckt, dass sich weniger Menschen den Demonstrationen anschließen, ist unklar.
Im Audio: Massenproteste in der Türkei - Erdogans Poker um die Macht
26.3.2025: Protest in Ankara
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