Nachdem die von der SPD vorgeschlagene Bewerberin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, ihre Kandidatur zurückgezogen hat, wächst im politischen Berlin die Kritik am Unions-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn. Brosius-Gersdorf hatte ihren Rückzug damit begründet, dass die Unionsfraktion ihr "in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert" habe, dass ihre Wahl ausgeschlossen sei. Gegen die Richterkandidatin hatten im Juli vor allem Abtreibungsgegner und rechte Akteure mobilisiert, dabei waren auch viele Falschbehauptungen über die Juristin in Umlauf gebracht worden. Schon nach der gescheiterten Wahl hatte es vor allem an Spahn massive Kritik gegeben.
Grüne halten Spahn für "ungeeignet"
Die Grünen üben scharfe Kritik an der Regierungskoalition. "Es ist absolut inakzeptabel, dass die CDU-Fraktion ihre Unterstützung zurückgezogen hat und eine Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf jetzt kategorisch ablehnt", erklärten die Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann. Die Verantwortung trage Jens Spahn als Unions-Fraktionsvorsitzender. Dieser sei "ungeeignet für eine solch verantwortungsvolle Aufgabe". Kritisch sehen Dröge und Haßelmann auch die SPD. "Wir fragen uns, wieso die SPD offenbar bereit war, ein Nein der CDU zu akzeptieren. Dieses Verhalten ist schwach."
Neben Brosius-Gersdorf hatte die SPD noch die Staatsrechtlerin Ann-Kathrin Kaufhold aufgestellt, die Union hatte den Bundesarbeitsrichter Günter Spinner nominiert. Die Grünen-Fraktion will nun an den anderen beiden Kandidaten festhalten.
Linke kritisieren "rechte Hetzkampagne"
Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek äußerte sich auf Instagram entsetzt, dass "eine rechte Hetzkampagne eine angesehene Juristin in die Knie gezwungen" habe. Reichinnek sprach von einem "Drehbuch Rechtsextremer und ihrer willfährigen konservativen Helfer:innen".
Die Linke forderte Union und SPD zu Gesprächen über die Besetzung der drei Richterposten am Bundesverfassungsgericht auf. Die Stimmen der Linken und der Grünen im Bundestag sind für eine Zwei-Drittel-Mehrheit rechnerisch nötig, wenn Union und SPD für die Richterwahl nicht auf die AfD angewiesen sein wollen.
SPD-Fraktion bedauert Rückzug und kritisiert Union
Die SPD-Fraktion bedauert den Rückzug von Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf und fordert zugleich mehr Verlässlichkeit vom Koalitionspartner Union. "Wir werden als SPD-Bundestagsfraktion einen neuen Vorschlag für eine geeignete Besetzung unterbreiten, weiterhin mit klarer Orientierung an fachlicher Exzellenz", kündigte Fraktionschef Matthias Miersch an. Dass sich Brosius-Gersdorf aus dem Verfahren zurückziehe, sei ein alarmierendes Signal für die politische Kultur und auch für die Unabhängigkeit der Institutionen. Die Unionsfraktion habe nicht einmal ein persönliches Gespräch mit der Kandidatin ermöglicht, so Miersch.
"So ein Vorfall darf sich nicht wiederholen", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil. Er verlangte von der Union eine Aufarbeitung des Vorgangs. "Es gab in den Fraktionen im Parlament immer einen breiten Konsens der demokratischen Mitte, dass wir Richterinnen und Richter aufstellen, dass wir sie wählen, dass wir Entscheidungen gemeinsam treffen", erklärte Vizekanzler Klingbeil dazu. Die "persönliche Entscheidung" des Rückzugs von Brosius-Gersdorf aber respektiere er.
Spahn dankt Brosius-Gersdorf – AfD verbucht Erfolg
Unionsfraktionschef Spahn zollte Brosius-Gersdorf für ihren Rückzug Respekt. "Jenseits der sachlichen Auseinandersetzung gab es herabsetzende und beleidigende Kritik, die Frau Prof. Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erdulden musste. Diese verurteilen wir ausdrücklich", so Spahn. Mit der SPD will er gemeinsame Lösungen finden. Spahn sagte weiter: "Ich bedauere, dass diese Lage auch durch die zu späte Ansprache unserer inhaltlichen Bedenken entstehen konnte."
Bei der AfD sieht man den Rückzug Brosius-Gersdorfs derweil als Erfolg. Deren stellvertretender Bundessprecher Stephan Brandner nannte diesen Schritt "längst überfällig und einen kleinen Sieg der Vernunft", der aber die weiteren Probleme nicht löse. Denn außer Brosius-Gersdorf dürfe auch die weitere SPD-Kandidatin Kaufhold nicht Richterin am Bundesverfassungsgericht werden.
Mit Informationen von AFP, dpa
Im Video: Rückzug von Brosius-Gersdorf - BR-Korrespondent ordnet ein
BR-Korrespondent Björn Dake zu Rückzug von Brosius-Gersdorf
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!