Eine Überraschung ist der neue Chef beim Bundesamt für Verfassungsschutz nicht: Sinan Selen ist seit sechs Jahren Vizepräsident der Behörde. Seit fast einem Jahr führt der 53-Jährige schon die Behörde in Köln. Der frühere Präsident Thomas Haldenwang hatte im vergangenen November angekündigt, für den Bundestag zu kandidieren. Daraufhin übernahm Selen.
Ihm wurden schon länger Ambitionen auf den Spitzenjob nachgesagt. Zusammen mit der anderen Vizepräsidentin Silke Willems machte sich Selen dafür stark, den Verfassungsschutz zu modernisieren und die Aufgaben des Bundesamts klarer zu fassen.
Selen: Noch keine offizielle Bestätigung
Dass seine Berufung so lange dauerte, dürfte am Regierungswechsel im Mai liegen. Union und SPD hatten einige Spitzenpersonalien zu klären. Der Posten des Verfassungsschutzpräsidenten gehörte dazu. Noch hält sich das zuständige Bundesinnenministerium zu den übereinstimmenden Medienberichten bedeckt. Es werde "zu gegebener Zeit Informieren", heißt es bisher nur.
Erster Behördenchef mit Migrationserfahrung
Selen wäre der erste Verfassungsschutzpräsident, der nicht in Deutschland geboren wurde. Er kam mit vier Jahren mit seinen Eltern aus der Türkei. Selen ist Fachmann für Terrorismusabwehr. Er gilt als gut vernetzt und im Bundesamt mit seinen mehr als 4.200 Mitarbeitern als akzeptiert.
Selen studierte Rechtswissenschaften in Köln und machte Karriere im Sicherheitsapparat. Seine Stationen: Bundeskriminalamt, Bundesinnenministerium, Bundespolizeipräsidium. Nach einem kurzen Ausflug in die Privatwirtschaft (Reisekonzern TUI), fing er 2019 als Vizepräsident beim Bundesamt für Verfassungsschutz an.
Herausforderungen: Russland, Islamismus, Rechtsextremismus
Die Behörde sieht sich als Frühwarnsystem. Es gilt, Gefahren für die Demokratie rechtzeitig zu erkennen – etwa Anschläge von Extremisten oder Terroristen. Außerdem sind die Verfassungsschützer dafür verantwortlich, Spionage durch andere Staaten abzuwehren.
Aktuell ist der russische Angriff auf die Ukraine und die hybride Kriegsführung Russlands eine große Herausforderung für den Geheimdienst – und damit für den neuen Chef Selen. Russland versucht nach Ansicht der Verfassungsschützer mit Cyberangriffen, Desinformation, Spionage und Sabotage Unruhe zu stiften und das Vertrauen in die Demokratie zu schädigen. Dazu kommen Gefahren durch Islamisten und Rechtsextremisten.
Das Budget des Inlandsgeheimdienstes wächst. Für das nächste Jahr sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung 686 Millionen Euro vor – über 100 Millionen mehr als in diesem Jahr. Doch wie alle Sicherheitsbehörden sucht auch das Bundesamt für Verfassungsschutz Personal, vor allem IT-Spezialisten.
Zentrale Rolle für AfD-Einstufung
Das Bundesamt hat eine zentrale Rolle bei der Beobachtung der AfD. Laut Verfassungsschutzbericht werden etwa 20.000 Parteimitglieder dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet. Im Frühjahr stufte der Geheimdienst die AfD als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" ein. Ob diese Einstufung zu halten ist, berät momentan das Kölner Verwaltungsgericht.
Die AfD sieht den Verfassungsschutz politisch gesteuert. Selens Berufung dürfte Anlass sein, diese Vorwürfe zu wiederholen. Die bayerische Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner betont auf X, dass Selen in Istanbul geboren ist. Schon seine Ernennung zum Vizepräsidenten hatte für Aufsehen gesorgt.
Der damalige AfD-Bundestagsabgeordnete Johannes Huber aus Bayern twitterte damals "Muslim wird Verfassungsschutz-Vize". Das stimmt aber nicht. Wie die "Süddeutsche Zeitung" schon vor Jahren schrieb (externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt), ist Selen nicht religiös. Die türkische Staatsbürgerschaft hat Selen zudem auf eigenen Antrag abgelegt. Was bleibt, ist der Ruf eines deutschen Vorzeige-Beamten.
Neuer Chef beim Bundesverfassungsschutz: Laut Regierungskreisen soll Sinan Selen Präsident der Behörde werden.
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