Ein Ansteckpin mit dem Parteilogo der AfD (Alternative für Deutschland) liegt mit einer Deutschland-Banderole auf einem Tisch.
Bildrechte: picture alliance / Andreas Franke | Andreas Franke
Videobeitrag

Die Rufe nach einem AfD-Verbot werden nach der Einstufung des Verfassungsschutzes als "gesichert rechtsextremistisch" wieder lauter.

Videobeitrag
>

Verfassungsrechtler: AfD-Gutachten sollte veröffentlicht werden

Verfassungsrechtler: AfD-Gutachten sollte veröffentlicht werden

Verfassungsrechtler Christian Waldhoff spricht sich dafür aus, das AfD-Gutachten zu veröffentlichen. Dann hätte die politische Diskussion eine Grundlage. Fan eines AfD-Verbotsverfahrens ist Waldhoff nicht.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Die Reaktionen waren erwartbar: Kaum hatte der Verfassungsschutz die AfD bundesweit als rechtsextremistisch eingestuft, vermehrten sich die Forderungen nach Einleitung eines Parteiverbots. Der Verfassungsrechtler Christin Waldhoff hat Bedenken – und erklärt sie BR24-Interview für "Possoch klärt". Waldhoff lehrt an der Humboldt-Universität zu Berlin, und er war als Prozessbevollmächtigter des Deutschen Bundestages am NPD-Verbotsverfahren beteiligt.

Im Eilverfahren der AfD gegen ihre Einstufung hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Einstufung aktuell ausgesetzt, bis das Verwaltungsgericht Köln über den AfD-Eilantrag entschieden hat.

BR24: AfD-Chef Chrupalla sprach am 2. Mai von einem "schwarzen Tag für die Demokratie". Da hat der Verfassungsschutz die Einstufung der Partei als "gesichert rechtsextremistisch" bekanntgegeben. Verfassungsschutz oder AfD – wer von beiden zerstört jetzt unsere Demokratie?

Christian Waldhoff: Eindeutig die AfD. Der Verfassungsschutz beschützt ja unsere Verfassungsordnung und damit die Demokratie.

Einstufung "undemokratisch"?

BR24: Hat Chrupalla nicht doch einen Punkt?

Waldhoff: Ich glaube nicht, denn natürlich hat jetzt die AfD die Möglichkeit, Rechtsschutz gegen diese Einstufung zu erstreben, also vor Verwaltungsgerichten zu klagen. Das hat die Partei auch immer gemacht, bei allen vorhergehenden Einstufungen auch, und das ist natürlich der Zeitpunkt, wo dann der Verfassungsschutz offenlegen muss, auf welcher Tatsachengrundlage er zu dieser Einordnung kommt.

BR24: Das Gutachten wurde bisher nicht veröffentlicht. Sollte es das?

Waldhoff: Das ist richtig, es ist sogar so vorgesehen, dass das nicht sofort veröffentlicht wird. Ich würde gleichwohl dafür plädieren, es zu veröffentlichen, weil jetzt eine große politische Diskussion gestartet ist. Und die kann sinnvollerweise kaum geführt werden, wenn man nicht über die Tatsachen Bescheid weiß.

Im Video: Verfassungsschutz oder AfD – Wer zerstört hier die Demokratie?

Verfassungsschutz ist Teil der wehrhaften Demokratie

BR24: Was ist eigentlich die Rolle des Verfassungsschutzes in unserer Demokratie?

Waldhoff: Der Verfassungsschutz ist ein Teilelement dessen, was man als Konzept der wehrhaften Demokratie bezeichnet, das unserem Grundgesetz aus historischer Erfahrung zugrunde liegt. Der Verfassungsschutz selbst hat keinerlei Eingriffsbefugnisse. Er hat eine reine Informationsfunktion. Er sammelt Informationen und bewertet die im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit.

BR24: Was ist der Unterschied zwischen der aktuellen Einstufung und einem Verbotsverfahren?

Waldhoff: Eine extremistische Partei als solche kann überhaupt nicht verboten werden, weil Extremismus nicht der Tatbestand für ein Parteiverbot ist. Für ein Parteiverbot muss eine extremistische Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv vorgehen. Das ist nicht dasselbe. Diese Einstufung der Gesamtpartei AfD als gesichert rechtsextremistisch ist eine Vorstufe für ein mögliches Parteiverbotsverfahren.

Im Audio: Verfassungsrechtler Christian Waldhoff über ein AfD-Verbot

Verfassungsrechtler Christian Waldhoff von der HU Berlin
Bildrechte: Christian Waldhoff
Audiobeitrag

Verfassungsrechtler Christian Waldhoff von der HU Berlin

AfD-Parteiverbot: Die Gefahr der Aufwertung?

BR24: Was wäre, wenn ein AfD-Verbotsverfahren scheitern würde?

Waldhoff: Wenn ein Parteiverbotsverfahren in Bezug auf die AfD schieflaufen würde, dann könnte das nur daran liegen, dass die Verfassungsfeindlichkeit nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte. Die Relevanz, die Potenzialität, wie das Gericht sagt, die ist unzweifelhaft gegeben bei 20 Prozent Wählerstimmen. Das heißt, wenn ein AfD-Verbot scheiterte, wäre das wesentlich schlimmer als das damalige Scheitern des NPD-Verbots.

Damals war das keine Katastrophe, weil das Gericht gesagt hat, das ist eine verfassungsfeindliche Partei, letztlich eine Nazi-Partei, aber sie ist zu unbedeutend, um sie zu verbieten. Die Partei wurde nicht mit dem Gütesiegel des Bundesverfassungsgerichts als unproblematisch versehen, sie wurde nur als völlig unbedeutend klassifiziert. Wenn ein AfD-Verbot scheiterte, könnte das nur daran liegen, dass die Verfassungsfeindlichkeit nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte, und das wäre wesentlich schlimmer.

BR24: Zerstört der Verfassungsschutz mit so einer Einstufung die Demokratie, weil sie politisch so wirksam ist?

Waldhoff: Es sind ja Fakten, die veröffentlicht werden. Man muss nicht mit den Bewertungen, die da auch vorgenommen werden, zwingend übereinstimmen. Aber die Fakten sind gesichert, der Verfassungsschutz erhebt nur gesicherte Fakten. Insofern hat das eine Informationsfunktion. Welche politischen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, ist eine zweite Frage.

BR24: Danke für das Gespräch.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!