Die Befürworter eines Parteiverbotsverfahrens gegen die AfD bewegen sich aus Sicht von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt argumentativ auf dünnem Eis. Es sei falsch zu glauben, mit dem Gutachten des Verfassungsschutzes zur Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch habe man nun ausreichend Material für ein solches Verbot in der Hand, sagte Dobrindt.
Jenen, die sagten, "wenn es so ein Gutachten gibt, dann kann man sich doch darauf berufen und dann ein entsprechendes Verbotsverfahren anstrengen", halte er entgegen: "Dafür ist dieses Gutachten nicht ausreichend."
AfD-Verbot: Warum sich ein Verfassungsrechtler das vorstellen kann
Anders denkt darüber der Verfassungsrechtler Professor Kyrill-Alexander Schwarz von der Universität Würzburg. Er hege, so Schwarz im BR24-Interview (zum Nachschauen eingebettet über diesem Artikel), "eine gewisse Zuversicht, dass die bisherigen Indizien auch ausreichend sind".
Nach Einschätzung des Verfassungsrechtlers liefert das Gutachten zusätzliche Belege. Diese neuen Erkenntnisse könnten Schwarz zufolge dazu führen, dass die Frage, ob es im Ermessen der politischen Organe liegt, einen Verbotsantrag gegen die AfD zu stellen, zunehmend als rechtliche Pflicht zu werten ist: "Je höher die Beweislage ist, je schwieriger die Äußerungen sind, desto eher kann man davon ausgehen, dass die politischen Organe auch zu einer Antragstellung verpflichtet sind."
Schwarz: AfD stellt zentrale Prinzipien des Rechtsstaats in Frage
Verfassungsrechtler Schwarz sieht in der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem durch den Verfassungsschutz den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung, die eine zunehmende Radikalisierung der Partei dokumentiere. Was sich über Jahre abgezeichnet habe, finde nun seine offizielle Bestätigung. Aus seiner Sicht handelt es sich bei der AfD um eine verfassungsfeindliche Partei, die zentrale Prinzipien und Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats gezielt in Frage stelle.
Rassistische Narrative im Fokus
Als Beispiel analysierte der Verfassungsrechtler einen Facebook-Post des bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Martin Böhm, in dem er sich auf eine Vergewaltigung von zwei minderjährigen Mädchen in Rostock im Frühjahr 2024 bezieht, die mutmaßlich von zwei ausländisch aussehende Männern begangen wurde. Unter anderem schrieb Böhm: "Sie verachten unser Land und sie zeigen es, indem sie unsere Kinder schänden."
Laut Schwarz steht "dahinter eine ganz offensichtlich rassistische, fremdenfeindliche Ideologie, die ohne irgendwelche Unterschiede zu machen, von einer Pauschalisierung von Ausländern ausgeht, die nach Deutschland gekommen sind." Flüchtlinge würden mit solchen Aussagen generell kriminalisiert, ihr Anspruch auf Menschenwürde werde abgesprochen.
Grafik: Posting des Landtagsabgeordneten Böhm
Martin Böhm
Über Verschwörungserzählungen
Auch die Äußerungen des ehemaligen bayerischen AfD-Europaabgeordneten Bernhard Zimniok in einem Facebook-Beitrag bewertet der Verfassungsrechtler mit deutlicher Skepsis. Hier spricht Zimniok über den sogenannten Bevölkerungsaustausch – eine Verschwörungserzählung, die behauptet, die einheimische Bevölkerung werde gezielt durch Migrantinnen und Migranten ersetzt.
Zimniok beruft sich auf Daten des Statistischen Bundesamtes – und leitet daraus ab, dass der Bevölkerungsaustausch real sei: "Das deutsche Volk droht zu verschwinden."
Gleichzeitig wird dem Würzburger Verfassungsrechtler zufolge mit dieser Darstellung "eine bestimmte Positionierung vorgenommen, die letzten Endes versucht deutlich zu machen, dass Deutschland sich in irgendeiner Form selber abschafft – und dass vor allem der Staat, die Regierung, das System dafür verantwortlich sind, dass das deutsche Volk, wie auch immer man das definieren mag, durch einen anderen Volksbegriff ersetzt wird." Und das sei eine "völkisch-ideologisch, rassistische, nationalistische und rassistische Ideologie, die den Achtungsanspruch jedes Einzelnen grundsätzlich in Frage stellt."
Grafik: Posting des AfD-Politikers Zimniok
Bernhard Zimniok
BR analysiert Verfassungsschutz-Gutachten
Ohnehin sieht der Verfassungsrechtler den Umgang der AfD mit Migranten als am problematischsten an. Damit werde der Schutz der Menschenwürde in Frage gestellt, so Schwarz. Die Differenzierung zwischen Biodeutschen und Passdeutschen sei nichts anderes als eine rassistisch grundierte Differenzierung.
Als scheidende Bundesinnenministerin verkündete Nancy Faeser (SPD) vor rund zwei Wochen die neue Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung". Die AfD reichte dagegen Klage ein. Daraufhin hat der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Maßnahmen und die Verwendung des Begriffs der "rechtsextremistischen Bestrebung" bis auf Weiteres ausgesetzt. Das Gutachten wurde von mehreren Medien an die Öffentlichkeit gebracht.
Eine Auswertung des BR zeigt: Fast jeder zweite bayerische AfD-Mandatsträger in Landtag, Bundestag und EU-Parlament wird darin mit radikalen Äußerungen zitiert.
Mit Informationen von dpa.
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