Journalisten fragen, Künstliche Intelligenz antwortet in Form von Zeitungsartikeln: Das ist das Prinzip, nach dem die Tageszeitung "Il Foglio" mit Sitz in Rom ihren Lesern seit 18. März vier zusätzliche Seiten präsentiert. In den Texten geht es um die Haltung der italienischen Regierung zum Ukraine-Krieg, um aktuelle Statistiken zur Entwicklung der Wirtschaft oder um den politischen Kurs von US-Präsident Trump.
Der Chefredakteur von "Il Foglio" Claudio Cerasa weiß, dass es nichts Neues ist, journalistische Texte von KI erstellen zu lassen. Doch seine Zeitung sei weltweit die Erste, die solche Texte ganz traditionell in ein Zeitungslayout einfügt und auf Papier druckt, erklärt er.
"Il Foglio" will Grenzen der KI im Journalismus austesten
Er habe allerdings nicht vor, die Journalistinnen und Journalisten seiner Zeitung arbeitslos zu machen, betont Cerasa. Es gehe ihm darum, zu verstehen, welche Grenzen KI im Journalismus überwinden kann und welche nicht. Eine erste Zwischenbilanz zeigt seiner Ansicht nach, dass sich mit KI Texte erstellen lassen, die sich wie professionelle Zeitungsartikel lesen.
Eine abschließende Bilanz will er noch nicht ziehen. Aber er ist sicher, dass jetzt schon klar wird: Von Menschen geschriebene Texte sollten zeigen, dass Talent in ihnen steckt, das nur Menschen haben: "Wir müssen beweisen, was wir gut können, damit wir nicht durch eine Maschine ersetzbar sind."
Experte: Texte brauchbar, aber wenig geistreich
In der italienischen Medienszene sorgt das Experiment für große Aufmerksamkeit. Der KI-Fachmann der italienischen Nachrichtenagentur Ansa, Alessio Jacona, bewertet in einer Ansa-Podcast-Folge die KI-generierten Texte als recht brauchbar, wenn es um Fakten und Lesbarkeit geht. Aber ihm fehlt Einordnung von Informationen und vor allem vermisst er Humor. Das liege aber im Wesen der KI, erklärt Jacona: Weil sie keinen Geist habe, könne sie eben auch nicht geistreich sein.
KI könne zwar auch in Zeitungstexten den Anschein erwecken, als ob dahinter Gedanken und Überlegungen steckten. Doch in Wirklichkeit gruppiere sie nur Wörter nach statistischen Regeln, erläutert Jacona: "Und deswegen ist sie nicht fähig, Humor zu erfassen."
KI-Experiment soll Diskussion über Zukunft des Journalismus anstoßen
Eine "Provokation" sieht Andrea Garibaldi in den KI-generierten Zeitungstexten von "Il Foglio". Garibaldi hat nach einer Karriere bei verschiedenen italienischen Zeitungen einen Lehrauftrag Universität LUMSA in Rom und gehört zum Journalisten-Netzwerk "Professione Reporter". Es sei aber eine lehrreiche Provokation, findet Garibaldi.
Er glaubt dem Il-Foglio-Chefredakteur Cerasa, dass er keine Arbeitsplätze von Journalisten einsparen wolle. Garibaldi erhofft sich vom KI-Experiment bei "Il Foglio" eine gründliche Diskussion darüber, was Journalismus in Zukunft leisten kann. Eines sei dabei jetzt schon sicher, ist Garibaldi überzeugt: KI werde keine Scoops hervorbringen, also keine Geschehnisse ans Licht bringen, die Verantwortungsträger in Erklärungsnot bringen.
Marketing-Effekte für "Il Foglio"
Bei aller Sympathie für das provokante Projekt von "Il Foglio" sieht Garibaldi aber auch einen wirtschaftlichen Eigennutz als Motiv. Die vergleichsweise kleine Zeitung habe bislang eine sehr überschaubare Leserschaft. Die Zeitung, die sich seiner Einschätzung nach vor allem ein akademisches, konservativ-kritisches Publikum richtet, sei in Italien wenig bekannt und im Ausland schon gar nicht. Doch jetzt werde von Südkorea über Indien bis Brasilien über die KI-generierten Zeitungsseiten berichtet, stellt Garibaldi fest: "Das ist eine große Marketing-Operation."
Der "Il Foglio"-Chefredakteur Claudio Cerasa bestätigt, dass die Aktion seiner Zeitung willkommene Aufmerksamkeit verschafft hat. Die Auflage, die er auf 29.000 beziffert, sei um 60 Prozent gestiegen, es gebe auch zahlreiche neue Abonnenten. Es sei aber legitim, wenn eine Zeitung mit einer originellen Idee zusätzliche Leser gewinnt, findet Cerasa. Und ein Ziel sei bereits erreicht: Das Projekt habe in der Leserschaft tatsächlich intensive Diskussionen angestoßen, was Journalismus in Zukunft leisten soll, und was die Menschen der KI überlassen können.
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