Zwei Protestierende in Tiflis bei den Demonstrationen gegen das sogenannte "russische Gesetz" im Mai 2024.
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Zwei Protestierende in Tiflis bei den Demonstrationen gegen das sogenannte "russische Gesetz" im Mai 2024.
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Zwei Protestierende in Tiflis bei den Demonstrationen gegen das sogenannte "russische Gesetz" im Mai 2024.

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Endstation Exil? Georgische Theaterschaffende in Deutschland

Endstation Exil? Georgische Theaterschaffende in Deutschland

Georgien verwandelt sich immer mehr in eine Diktatur. Viele Künstlerinnen und Intellektuelle sitzen inzwischen in Haft, andere haben das Land verlassen – auch in Richtung München. Die Stimmung: resigniert bis kämpferisch.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Die Welt am Morgen am .

Die Kommunalwahlen in Georgien Anfang Oktober fanden laut Amnesty International in einem Klima der "politischen Unterdrückung" statt. Schon seit den mutmaßlich manipulierten Parlamentswahlen im Vorjahr reißen die Proteste in der Hauptstadt Tiflis gegen den anti-demokratischen Kurs der Regierung nicht ab.

Die Theater sind – oder womöglich muss man sagen: waren – eine wichtige Stimme der georgischen Zivilgesellschaft. Viele Theaterschaffende haben sich in den vergangenen Monaten auf der Straße bei den Protesten, aber auch auf der Bühne mit den Mittel der Kunst dem Kampf zur Verteidigung der noch jungen Demokratie ihres Landes verschrieben.

Theatermacherinnen befürchten, dass sich Georgien in eine Diktatur verwandelt

Doch damit scheint es vorerst weitgehend vorbei, berichtet der junge georgische Theatermacher Misha Charkviani. Man habe es einfach nicht geschafft, eine "politische Bewegung anzustoßen", konstatiert er resigniert. Seine Kollegin Mariam Megvinyte pflichtet ihm bei: "Ehrlich gesagt sind wir schon jenseits der Autokratie und steuern auf eine neue Diktatur zu."

Sowohl Charkviani als auch Megvinyte halten sich derzeit in Deutschland auf. Was die Leitungspositionen staatlicher Theater angeht, hat Georgiens Regierung alle kritischen Künstler durch linientreue ersetzt. Die freie Szene lässt sie finanziell ausbluten oder schüchtert sie ein, schickt anonyme Morddrohungen oder Schlägertrupps, die Vorstellungen stören.

Das Haraki Theater in Tiflis, für das Megvinyte noch immer schreibt, zählt zu den wenigen, die noch spielen können. Aber die Angst ebenfalls mundtot gemacht zu werden, führt auf Dauer zur Selbstzensur. Über allem schwebe die Frage: "Können wir das sagen, ohne zu sehr zu provozieren?"

Bildrechte: Residenztheater / Sandra Then
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Seit Oktober ist Mariam Megvinyte in München: Am Dienstagabend stellt sie am Residenztheater ihr neues Stück vor.

Theaterautorin Mariam Megvinyte ist am Residenztheater untergekommen

Seit Oktober ist Megvinyte in München. Eine Auszeit von der Angst, sagt sie. Als "writer in residence" ist sie gerade zu Gast am Residenztheater, das ihr jüngstes Stück ins Deutsche übersetzen hat lassen. Darin arbeitet sich die Autorin unter anderem am Antigone-Mythos ab. Am Dienstagabend wird das Stück in einer Lesung präsentiert.

In der antiken Sage bestattet Antigone ihren Bruder Polyneikes – gegen den Willen des König Kreon, der den Toten vor den Toren Theben verrotten lassen will, weil er ein Staatsfeind war. Antigone widersetzt sich dem Gebot, ein Akt zivilen Ungehorsams. Ähnlich hätte sich Georgien in den Neunzigern verhalten, als es darum ging, das Erbe der Sowjetunion hinter sich zu lassen, sagt die Theatermacherin. "Aber das war naiv", so Megvinyte. "Die Diktatur ließ sich nicht so einfach abschütteln. Sie hatte sich zu tief ins Denken der Menschen eingegraben." Das zeigt sich nun am reaktionären Backlash in Georgien, dessen Regierung immer unverhohlener die Kreml-Nähe sucht.

Auch Regisseur Misha Charkviani hat Georgien verlassen. Und auch er hat sich für sein Deutschland-Debüt mit der Antigone befasst und in Wiesbaden die Dramenversion des Sophokles inszeniert. Das Stück sei vor allem die Tragödie der Zuschauenden, sagt Charkviani. Also derer, die – anders als Antigone – dem Unrecht tatenlos zusehen.

Theatermacher Charkviani: Keine Rückkehr nach Georgien geplant

Was seinen eigenen Kampf für die Demokratie angeht, so hat Misha Charkviani, der in Tiflis selbst auf vielen Demos war, nun beschlossen, ihn vorerst in Deutschland weiterzuführen. "Ich sehe nicht, wie ich derzeit zurück nach Georgien gehen und dort Theater machen könnte", sagt er. Anfang kommenden Jahres inszeniert er in Krefeld. Verhandlungen mit weiteren Bühnen für Engagements laufen.

Für Mariam Megvinyte dagegen bleibt es wohl beim Exil auf Zeit. Nach Ende ihrer Autorenresidenz wird sie Mitte Dezember nach Georgien zurückkehren. "So lange noch ein Funke Hoffnung besteht und wir irgendwie arbeiten können, denke ich: wir sollten in Georgien bleiben!"

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