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Immer wieder klingt in den Kommentarspalten von BR24 die Haltung durch, früher sei vieles besser gewesen oder weniger dramatisch gesehen worden. So schrieb beispielsweise BR24-User "info" unter einem Beitrag zum Thema Schulangst: "Meine Güte, vor 60 Jahren hat sich kein Mensch darum gekümmert. Uns geht es trotzdem gut." Hier werde wieder "völlig unnötiges Gedöns gemacht". Und "Gordel" kommentierte: "Die Schule war – meistens – die schönste Nebensache der Welt. Man traf seine Kumpel und hatte Spaß. Meistens. (...)"
Es ist der nostalgisch-wehmütig-verklärende Blick auf die Vergangenheit, Psychologen sprechen hier gerne von einer Sehnsucht nach etwas Vergangenem, Schönem. Menschen vermissen Vergangenes besonders in Zeiten, die als weniger schön, weniger friedlich empfunden werden. Vielleicht auch deshalb trendet "Retro" in Mode, Musik und Film. Und der Luxushändler Manufactum macht die Nostalgie zum Geschäftsmodell und wirbt mit dem Slogan: "Es gibt sie noch, die guten Dinge".
Diese nostalgische Wehmut kann an den persönlichen Lebensumständen liegen, dem Verlust eines lieben Menschen, der Sorge vor Armut oder Einsamkeit, oder an gesellschaftlichen oder politischen Entwicklungen. In solch negativer Stimmung sehnen sich viele Menschen nach vergangenen, scheinbar unbeschwerten Zeiten zurück. Aber war es das wirklich?
Schließlich schrieb BR24-User "Gordel" in seinem Kommentar weiter: "Es gab auch Zeiten, da wurde man gemobbt. Da musste man durch und war glücklich, wenn man einen Dreh gefunden hatte, es abzustellen."
Untersuchung: In Bezug auf Vergangenheit voreingenommen
Untersuchungen der amerikanischen Psychologen Adam Mastroianni und Daniel Gilbert, die 2023 in der Zeitschrift "Nature" veröffentlicht wurden, zeigen, dass wir in Bezug auf unsere Vergangenheit voreingenommen sind. Wir erinnern uns besser an positive und vergessen eher die negativen Ereignisse. Der normale Prozess des Vergessens tut sein Übriges dazu.
Vergessen ist nämlich für das Gehirn ein essenzieller Prozess – so sagt es der Neurobiologe Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig. "Unser Gehirn selektiert die ganze Zeit. Es ist immer dabei, Informationen auszusortieren." Denn – um im Bild zu bleiben – ein überquellender Dachboden hat keinen Platz, auch nicht für Wichtiges.
Ein gut funktionierendes Gehirn macht deshalb andauernd auch das hirnphysiologische Gegenteil des Erinnerns, es sortiert permanent aus – frei nach der japanischen Aufräumkönigin Marie Kondo: Was ist wichtig und muss in den Langzeitspeicher? Was ist nutzlos geworden, und kann weg? Vergessen hilft also zu fokussieren und zu abstrahieren, sagt der Neurobiologe Martin Korte.
Im Rückblick rosig
Allerdings, im Rückblick erscheint manches rosiger, als es tatsächlich war. Da wird dann über die Hose gelacht, die aus Angst vor dem Krampus nass wurde, und da erscheint manchem sogar die Jugend in der Nachkriegszeit, in einer Zeit der Entbehrungen, dank erster Liebe und Schmetterlingen im Bauch nicht so mager, wie sie vielleicht tatsächlich war.
Bereits Ende des 17. Jahrhunderts beschrieb der Schweizer Mediziner Johannes Hofer mit dem Begriff "Nostalgie" das Leiden von Söldnern, die in der Fremde ihren Dienst taten. Sie galt damals als Nervenkrankheit. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Nostalgie als psychiatrische Störung beschrieben, eine Form von Melancholie oder Depression.
Die moderne Psychologie hat einen anderen Blick auf die Nostalgie: Sie verursache keinen Kummer, sondern helfe, ihn zu bekämpfen, so die These des britischen Psychologieprofessors Tim Wildschut. Nostalgisches Erinnern führe zu mehr Optimismus mit Blick auf die Zukunft, verbessere die Stimmung und steigere das Selbstwertgefühl.
Den Blick auf die Vergangenheit hat man in der Hand
Beim Vergleich zwischen eigener Vergangenheit und Gegenwart ist also offensichtlich entscheidend, wie man bewertet: Bedauert man zurückliegende Verluste oder freut man sich über vergangenes Glück?
Den Umgang mit der Erinnerung und dem Vergangenen hat man allerdings nach Ansicht des Bestsellerautors und evangelischen Pfarrers Werner Tiki Küstenmacher ein Stück weit selbst in der Hand. Es gebe Menschen, die hauptsächlich Negatives abspeichern würden. Er selbst sei dazu übergegangen, eher die positiven Erinnerungen zu erzählen und sie damit bewusst und ohne Wehmut zu behalten. "Ich erzähl lieber meine Erfolge, wo was gelungen ist, wo was schön war." Und dann verrät er im BR-Interview noch augenzwinkernd ein Geheimnis: Er habe ja 25 Jahre als Radiopfarrer die evangelische Morgenfeier gesprochen und viel Hörerpost bekommen. "Und irgendwann hab ich nur noch die Briefe aufgehoben, die positiv waren."
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