Kein lineares Anwachsen, sondern eine förmliche Explosion der Kosten – so dramatisch schildern Bayerns Kommunen ihre Finanzlage. Vor einem Krisentreffen der Bayerischen Landkreise mit den Regierungsfraktionen am kommenden Dienstag legen die Kommunalvertreter die Zahlen auf den Tisch: Das Defizit der vier Ebenen - Bezirke, Landkreise, Städte und Gemeinden - ist nach ihren Berechnungen von 2,5 Milliarden Euro Ende vergangenen Jahres in – so wörtlich - "historisch kurzer Zeit" auf 5,1 Milliarden Euro Mitte 2024 gestiegen.
Ausgaben für Schulbegleiter explodieren
Ein Beispiel: Die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe sind seit 2019 um elf Prozent auf 1,14 Milliarden Euro gestiegen, etwa durch sogenannte Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter für Kinder und Jugendliche mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Auf solche Begleiter bestehe nun ein Anspruch, sagt der Präsident des Bayerischen Landkreistags, Thomas Karmasin (CSU) aus Fürstenfeldbruck: "Sie haben Klassen, in denen fünf, sechs, sieben Schulbegleiter drin stehen, weil darauf ein Anspruch besteht."
Krankenhäuser, Nahverkehr, Personal schrauben Kosten hoch
Dazu musste der Personalstamm der Kommunen wegen der Übertragung weiterer Aufgaben an die Kommunen deutlich vergrößert werden. Seit 2018 sind die Ausgaben für Personal um eine halbe Milliarde auf mehr als zwei Milliarden Euro gewachsen. Weitere Treiber sind hohe Kosten für kommunale Krankenhäuser und den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Möglicher Einbruch bei Grunderwerbssteuer
Hinzu kommt: Die Einnahmen bei der Grunderwerbssteuer könnten einbrechen. Gab es bei der Steuer, die beim Kauf einer Immobilie an den Staat geht, 2023 noch Einnahmen in Höhe von rund 870 Millionen Euro, so könnten es in diesem Jahr voraussichtlich nur rund 600 Millionen sein - rund 30 Prozent weniger. Das prognostiziert die letzte Steuerschätzung. Grund dafür ist der erlahmte Immobilienmarkt. Was die Kommunen darüber hinaus besorgt: Weitere Kostensteigerungen wie zum Beispiel die von der Ampelkoalition beschlossene Wohngeldreform mit einer Verdreifachung der Wohngeldberechtigten sind in den kommunalen Haushalten noch gar nicht berücksichtigt.
Landkreistag-Chef fordert: "Leistungsansprüche wieder zurückfahren"
Der Präsident des Landkreistags hält die Leistungen für nicht mehr finanzierbar und appelliert an Freistaat und Bund: "Wir stehen wirklich vor dem Ende der kommunalen Selbstverwaltung: Wenn jetzt nichts geschieht, können wir es eigentlich vergessen." Der Freistaat sei nicht Verursacher der meisten Probleme, räumt Karmasin ein, "aber nur er kann uns jetzt retten". Das Problem komme größtenteils vom Bund: "Weil ständig neue Leistungsansprüche erfunden und auf uns übertragen werden."
Füracker: "Ansprechpartner ist der Bund"
Auch Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) weist darauf hin, dass die finanziellen Belastungen vor allem auf Bundesaufgaben zurückzuführen seien, etwa in den Bereichen Asyl und Kinderbetreuung. "Der richtige Ansprechpartner ist der Bund", sagt der Finanzminister, der selbst seit Jahrzehnten aktiver Kommunalpolitiker ist. Weiter sagt Füracker, trotz aller Herausforderungen hätten Bayerns Kommunen im Vergleich zu anderen Bundesländern die höchsten Investitionsquoten. "Fast 30 Prozent des Staatshaushalts 2024 fließen auf verschiedenen Wegen an die Kommunen", so Füracker.
Landrat von Regen verhängt Haushaltssperre
Im niederbayerischen Regen hat Landrat Ronny Raith (CSU) eine sofortige Haushaltssperre verhängt. Als Gründe nennt er die aktuelle Finanzlage und die prognostizierte Neuverschuldung von rund 15 Millionen Euro allein in diesem Jahr. Wie es in einer Mitteilung der Regener Landkreisverwaltung heißt, werden ab sofort nur noch zwingend notwendige Ausgaben getätigt. Die Pflichtaufgaben im Bereich der Jugend- und Sozialhilfe werde der Landkreis Regen weiter leisten, ebenso würden laufende Bauprojekte weitergeführt und bestehende Verträge erfüllt.
Krisengespräch kommende Woche
Am kommenden Dienstag treffen sich rund 30 Landräte und 40 Abgeordnete von CSU und Freien Wählern, um nach einem Ausweg zu suchen. Die Kommunen monieren grundsätzlich, dass sie bundesweit 25 Prozent der Ausgabenlast tragen, gleichzeitig aber lediglich 14 Prozent des Steueraufkommens erhalten. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte beim CSU-Parteitag letztes Wochenende in Augsburg den Kommunen volle Unterstützung versprochen. Notfalls müsste auch mal ein Minister auf das ein oder andere Projekt verzichten, so Söder vor den Delegierten. Welches Projekt der Ministerpräsident damit meinte, wollte er auch auf BR-Nachfrage nicht sagen.
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