Einer, den kaum jemand auf dem Zettel hatte; erstmals ein Amerikaner und auch erstmals ein Augustiner: Damit machte die Wahl von Robert Prevost zum neuen Papst schnell Schlagzeilen am 8. Mai 2025. An diesem Tag endete das Konklave, nach dem sich Prevost der Welt als Papst Leo XIV. vorstellte.
Nach den 100 Tagen, die seither vergangen sind, zieht der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl auf BR-Anfrage eine erste Bilanz: "In dieser Zeit ist bereits sein Bemühen deutlich geworden, Brücken zwischen den unterschiedlichen Strömungen in der Kirche zu bauen". Er lasse sich "nicht in Schubladen stecken oder Lagern zuordnen".
"Ein Mann des Ausgleichs", sagt auch Christian Gärtner, Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, über Leo. Gegenüber dem BR rechnet der oberste Laien-Vertreter in Bayern zwar nicht mit "schnellen und revolutionären Veränderungen", er freue sich aber, dass der neue Papst den noch von Franziskus angestoßenen synodalen Prozess weiterführt.
Bamberger Erzbischof: "Leo lässt sich nicht in Schubladen stecken"
Tatsächlich hat sich Leo XIV. dieses Reformprojekt seines Vorgängers zu eigen gemacht, indem er weitere Etappen der Kirchenversammlung aus Laien und Bischöfen anberaumt hat. Andererseits hat er sich etwa auch schon klar zum Zölibat bekannt, den Reformkräfte in der Kirche gerne gelockert sähen.
Insofern glaubt auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, dass Leo XIV. "die unterschiedlichen Kräfte in der Kirche nicht auseinanderdriften lassen will". Das sei "nachvollziehbar und wichtig", so die Präsidentin des Laienverbands der deutschen Katholiken, mit dem die deutschen Bischöfe ein eigenes, deutschlandweites Reformprojekt – den Synodalen Weg – bestritten haben. Auch Leo "steht zur Synodalität, hält Kurs", so versteht Stetter-Karp dessen Entscheidung, den weltweiten Reformprozess seines Vorgängers fortzusetzen.
Augsburger Bischof: "Leo führt Linie von Papst Franziskus weiter"
"Es zeichnet sich ab, dass Papst Leo die Linie von Papst Franziskus weiterführt, aber durchaus eigene Akzente setzt", bilanziert der Augsburger Bischof Bertram Meier für den BR. Das zeige etwa Leos jüngste Entscheidung, den Briten John Henry Newman zum Kirchenlehrer zu erheben. Newman konvertierte im 19. Jahrhundert von der anglikanischen zur katholischen Kirche.
Dass ihn Leo zum Kirchenlehrer gemacht hat, sei so bedeutsam, weil Leo damit zwei Dinge betone: "die Rolle des Gewissens hochhalten und andererseits den Maßstab des kirchlichen Lehramtes", so Meier. Auf Newman geht unter anderem das Bonmot zurück: "Wenn ich einen Toast auf die Religion ausbringen müsste, würde ich auf den Papst trinken. Aber zuerst auf das Gewissen."
Theologe: Thema Synodalität betrifft "das eigene Amt Leos"
Um das Gewicht des eigenen Amtes macht sich auch Leo Gedanken, glaubt der emeritierte Regensburger Theologieprofessor Wolfgang Beinert: Bei Leos Anknüpfung an Franziskus' Synodalitäts-Bemühungen gehe es schließlich um "aktive Einbindung der Glaubensgemeinschaft in die Kirchenführung", so der einstige Ratzinger-Schüler, der im Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) in Rom zum Priester geweiht wurde.
Synodalität ernst zu nehmen bedeute letztlich, auch die päpstliche Macht zu beschränken. "Es geht also um das eigene Amt Leos", sagt Beinert dem BR. Darin liege "theologisch wie kirchenpolitisch" Sprengkraft. "Auch der Papst weiß es. Wenn er trotzdem das Reformprogramm aufnimmt, zeugt das von einem großen Mut".
Passauer Bischof: Pontifikat bekommt durch Personalien Profil
Der Passauer Bischof Stefan Oster lobt Leo XIV. als "sehr umsichtigen Papst", der erstmal zuhöre. "An kommenden Personalentscheidungen wird sich dann auch zeigen, in welche Richtung hin sich sein Pontifikat profilieren wird", sagt Oster dem BR.
Erste Personalien hat Leo XIV. bereits entschieden: Mit Simon Engurait hat der neue Papst etwa einen aus Uganda stammenden Bischof für die Diözese Houma-Thibodaux im US-Bundesstaat Louisiana bestimmt, außerdem hat er einen Vietnamesen zum Bischof der Diözese San Diego Kalifornien ernannt. Beobachter sehen darin einen bewussten Kontrapunkt zur Abschottungspolitik unter Trump.
Ebenso aufmerken ließ bereits, dass Papst Leo eine Frau zur Nummer Zwei einer vatikanischen Behörde gemacht hat: die Ordensfrau Tiziana Merletti. Sein Vorgänger Franziskus hatte erstmals eine Frau an die Spitze derselben Behörde gestellt. Ein solcher Chef-Posten im Vatikan war zuvor noch nie weiblich besetzt.
ZdK-Präsidentin: Leo muss "klare Kante zeigen"
Für den Zugang für Frauen zu Weiheämtern heißt das freilich nichts. Indirekt hält der neue Papst das Thema aber weiter auf der Agenda: durch die Fortsetzung des weltweiten synodalen Prozesses, wo die Rolle von Frauen thematisch verankert ist.
"Ich bin gespannt, wie Papst Leo nun im Detail die dringend notwendigen Reformen in der Kirche angeht", blickt ZdK-Präsidentin Stetter-Karp voraus. Für sie jedenfalls steht fest: "Leo wird auch klare Kante zeigen müssen. Der Wandel der Kirche ist drängend und kann nicht durch die Beschwichtigung seiner Gegner gelingen."
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