Der russische Präsident bei einer Schaltkonferenz am 24. Oktober 2025
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Gut vernetzt: Wladimir Putin
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"Pistole an der Wand": Ist Putins Netz-Zensur mehrheitsfähig?

"Pistole an der Wand": Ist Putins Netz-Zensur mehrheitsfähig?

Das staatliche russische Umfrageinstitut WZIOM behauptet, der Rückhalt für die Zensurpolitik des Kremls sei bei den Russen groß, vor allem bei Älteren. Vielen sei die Zensur "gleichgültig". Politologen warnen dagegen vor einem gefährlichen "Signal".

Über dieses Thema berichtet: BR24 Informationen am Nachmittag am .

"Eine belagerte Festung muss auch von innen gestärkt werden. Außerdem gilt nach wie vor der Grundsatz: 'Je weniger man weiß, desto besser schläft man'", spottete der russische Politologe Georgi Bovt (externer Link) über eine neue "Umfrage" des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstituts WZIOM, wonach weit mehr als die Hälfte der Befragten persönlich keine Probleme mit einer verschärften Netz-Zensur hätten.

"Das Internet und die mobile Kommunikation geraten allmählich auf die Liste der künstlich hervorgerufenen, nicht-traditionellen Werte. Wir haben einst irgendwie ohne sie gelebt – und es war völlig in Ordnung so", kommentierte das der St. Petersburger Politologe Michail Winogradow (externer Link) ironisch. Ein Kollege von ihm fürchtete, die Netzkommunikation werde in Russland wohl bald zum "Luxus für wenige Privilegierte, wenn sie nicht gerade wegen Drohnenangriffen ausfällt".

"Macht Regimewechsel wahrscheinlicher"

Ein weiterer russischer Polit-Blog empörte sich (externer Link): "Die alten Dackel in Regierung und Kreml ruinieren das Leben junger Menschen. Je mehr unpopuläre Entscheidungen die Regierung trifft, desto schlechter werden ihre Zustimmungswerte sein. In Russland wird dies natürlich kaum Auswirkungen auf die Wahlergebnisse haben, aber es wird andere Szenarien eines Regimewechsels wahrscheinlicher machen."

Jeder vierte Russe begrüßt nach Angaben von WZIOM ausdrücklich (externer Link), dass die Behörden den Zugang zu Netzadressen wie YouTube unterbinden, 30 Prozent seien diesbezüglich "unentschlossen", wobei es wenig verwunderlich ist, dass die jüngere Generation damit erheblich mehr Probleme hat als die ältere. Immerhin: Einer Mehrheit von 55 Prozent der Befragten ist es demnach egal, wenn Netz-Sperren umgangen werden, etwa mit verschlüsselten VPN-Zugängen.

"Besser mit null multiplizieren"

Offenbar stellten die Behörden die Russen als "Masochisten" dar, heißt es bei einem anonymen Blogger aus Pskow mit 21.000 Fans (externer Link). Das sei zwar "beunruhigend", dürfe aber nicht überdramatisiert werden: "Staatliche Meinungsumfragen spiegeln schon lange nicht mehr die Realität wider, sondern zeichnen ein von den Machthabern gewünschtes Zukunftsbild." So würden rund vierzig Prozent der Befragten gar nicht mehr antworten, viele weitere wüssten genau, was die Behörden erwarteten und verhielten sich entsprechend: "Diese 'WZIOM-Propaganda' lässt sich also durch 10 teilen. Oder besser noch, mit null multiplizieren, damit die Diskrepanz zwischen Realität und Umfrageergebnissen keine kognitive Dissonanz erzeugt."

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Peter Jungblut

Ähnlich bewertet einer der mit 410.000 Abonnenten größten russischen Polit-Kanäle (externer Link) die Folgen der Netz-Zensur: "Verbote und Einschränkungen sind für die Mehrheit der Bürger eine unpopuläre Maßnahme und führen zu einer direkten Verschlechterung ihrer Lebensqualität. Die Gesellschaft hat gelernt, verschiedene Einschränkungen zu umgehen und gewöhnt sich an alles. Doch in der Öffentlichkeit verfestigt sich die Wahrnehmung, der Staat greife ein und baue Hindernisse auf, und die Aufgabe der Bevölkerung bestehe darin, diese Einschränkungen ohne murren, aber auch ohne übermäßige Unterordnung zu umgehen. Das trägt nicht gerade zu den Zustimmungswerten der Regierung bei."

"Kein Zeichen von Zustimmung"

Protestpotenziale stauten sich auf, bis es zu einer plötzlichen "Massenentladung" komme, warnte ein weiterer Beobachter (externer Link) mit Hinweis auf den Untergang der Sowjetunion: "Öffentliches Schweigen ist kein Zeichen von Zustimmung. Die in Umfragen festgestellte Gleichgültigkeit zeugt nicht von Resignation gegenüber Einschränkungen, sondern von einem Zusammenbruch des gesamten Kommunikationssystems zwischen Regierung und Gesellschaft. Durch Zensur, Blockierung, Verbote und Unterdrückung hat die Regierung ihren Austausch mit der Gesellschaft in einen Monolog verwandelt. Die Gesellschaft ist nicht still, weil sie resigniert hat, sondern weil sie zum Schweigen gebracht wurde."

Die vermeintlich gemessene "demonstrative Gleichgültigkeit der Mehrheit" sei keineswegs ein Signal für gesellschaftlichen Zusammenhalt, so eine weitere maßgebliche Stimme (externer Link): "Die Situation deutet vielmehr darauf hin, dass das Land, soweit es unter den gegenwärtigen Umständen möglich ist, vorsichtig ein Signal von unten nach oben sendet: Leben ist zwar möglich, aber es ist besser, es nicht zu übertreiben und zumindest teilweise zu früheren Standards zurückzukehren."

Unterdessen wird im russischen Parlament schon darüber philosophiert, ob es nötig sei, während des kommenden Wahlkampfs den gesamten Netz-Zugang zu unterbinden. Der Kommentar eines Bloggers (externer Link) dazu: "Wenn eine Pistole an der Wand hängt, wird sie irgendwann losgehen."

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