Bei einer Tagung am 8. Oktober im Kreml
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Bestes Einvernehmen: Wladimir Putin und TASS-Chef Andrei Kondraschow
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TASS-Chef: "Journalisten stürzten Russland in den Abgrund"

TASS-Chef: "Journalisten stürzten Russland in den Abgrund"

Andrei Kondraschow, Chef der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS, warf den Journalisten seines Landes "berufliche Verantwortungslosigkeit" in den 1990er Jahren vor. "Pluralismus und Transparenz" hätten damals Russlands Werte untergraben.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Informationen am Vormittag am .

"Wenn jemand perfekt für eine Position geeignet ist, wird er dich niemals enttäuschen! Jetzt schlüpft nicht mal mehr mal eine Maus durchs Netz, ganz anders als in den unbeschwerten 90ern. Damals wagten es manche sogar, die Regierung zu kritisieren und die Meinungsfreiheit zu erwähnen", spottete [externer Link] der russische Politologe Andrei Nikulin über ein bizarres Interview von TASS-Chef Andrei Kondraschow [externer Link].

Im Gespräch mit den Online-Portal "Expert" klagte Putins ehemaliger Pressesprecher und wichtigster Medienmann über die vermeintlich gefährlichen 1990er Jahre unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als russische Medien vergleichsweise freimütig und ohne Zensur berichten konnten: "Erinnern Sie sich, in den Neunziger Jahren standen das Land und die Journalisten am Abgrund. Im Übrigen war es größtenteils den Journalisten zu verdanken, dass das Land in diesen Abgrund stürzte. Denn eine solche Phase beruflicher Verantwortungslosigkeit hatte es weder vor noch nach den 1990er-Jahren gegeben. So wie die Gewehre in den Händen von Banditen damals in alle Richtungen feuerten, so konnten Worte – in gedruckter Form und in Radio und Fernsehen – töten, Feuer legen, zerstören."

"Pluralismus unterwandert unsere Werte"

Kondraschow verteidigte die TV-Propaganda im Kommunismus mit dem Argument, sie sei "keine glatte Lüge" gewesen. Nicht die "Diskrepanz zwischen Schein und Sein" in den staatlich gesteuerten sowjetischen Medien habe zum Zusammenbruch des Landes beigetragen, sondern vielmehr die vom damaligen Staatschef Michail Gorbatschow durchgesetzte "Perestroika", also der Umbau und die Demokratisierung des Regierungssystems.

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Peter Jungblut

Fazit des TASS-Chefs: "Wir mussten viele Jahre leben, um heute zu verstehen, dass Pluralismus und Glasnost [Transparenz] zu Werkzeugen der Unterwanderung unserer Werte wurden. So wurden die Säulen, auf denen der Staat ruhte, untergraben. Man lehrte uns – nicht ohne Erfolg –, die UdSSR zu verachten und zu hassen." Korruption, Veruntreuungen und willkürlicher Machtmissbrauch hätten seinerzeit die Schlagzeilen beherrscht.

"TASS ist endlich befugt, die Wahrheit zu sagen"

Für diese merkwürdige Bestandsaufnahme erntete der Putin-Propagandist jede Menge Hohn. So schrieb der Publizist Wadim Schumilin [externer Link]: "TASS ist endlich befugt, die Wahrheit zu sagen. Ausnahmsweise. Nämlich, dass Pluralismus und Glasnost vorbei sind. Dass es sinnlos ist, über Korruption, Veruntreuung oder willkürlichen Machtmissbrauch zu sprechen. Dass nicht jeder (außer den Zensoren) alles hören und sehen sollte. Denn Glasnost und Pluralismus sind tödlich gefährlich für den Staat, dem Alexander Kondraschows Agentur dient."

Spöttisch verwies Schumilin darauf, dass die russische Regierung 1992 versucht habe, die alte, sowjetische TASS an die neuen, freiheitlichen Gegebenheiten anzupassen: "Zugegeben, jene, die versuchten, eine Schlange mit einem Igel zu kreuzen, hofften, die Zeit würde alles für sie erledigen, die Einzelheiten von allein regeln, sodass keine drastischen, schwierigen oder konfliktgeladenen Entscheidungen nötig wären: Die Hälfte der alten TASS würde mir nichts, dir nichts von selbst verschwinden. Am Ende verschwand aber die Hälfte der neuen TASS. Und nun spricht das Land mit der Stimme eines Staates, der vor 34 Jahren ruhmlos unterging."

"Härter durchgreifen"

Bei kremlkritischen russischen Bloggern gilt Kondraschow als "wahrer Putin-Patriot" [externer Link], der gegen ordentliche Honorare "absolut loyal" sei: "Er leistete PR-Unterstützung für Oligarchen, Spitzenbeamte und diverse Organisationen auf staatlichen Fernsehsendern gegen Barzahlung. VIP-Service bedeutete, in der wöchentlichen Nachrichtenübersicht im Zusammenhang mit Putin erwähnt zu werden."

Als Kondraschow im Juli 2023 zum TASS-Chef ernannt wurde, zitierte Politologe Georgi Bovt seinen Kollegen und notorischen Propagandisten Sergei Markow, der mittlerweile als "ausländischer Agent" gebrandmarkt ist: "Wir müssen sehr viel härter durchgreifen."

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