"Die optimale Lösung scheint eine drastische Verschärfung der Eskalation auf ein Niveau zu sein, das unser Feind nicht mehr zu übertreffen wagen würde. Ich bin überzeugt, dass ein schrittweiser Anstieg der Eskalationsstufen unser Verhalten zu vorhersehbar machen und dem Feind Zeit geben würde, sich darauf einzurichten", so der russische Politologe Juri Baranschtik [externer Link].
Seine Argumentation: "Ein starker, exponentieller Anstieg der Eskalationsstufe dürfte unsere 'Partner' aufhorchen lassen und ihnen die Angst wieder einflößen, die sie in den ersten dreieinhalb Jahren des Krieges verloren haben."
Damit liegt der Kommentator auf derselben Linie wie der russische Historiker und Propagandist Igor Schischkin. Der klagte in einem Interview mit der auflagenstarken "Moskowski Komsomolez" [externer Link] mit Blick nach Europa: "Sie haben begonnen, ihre Angst vor Russland zu verlieren, das ist das Beängstigendste."
"Nur Angst sichert den Frieden"
Die Europäer "erneut in Angst und Schrecken zu versetzen" sei "eine der Voraussetzungen für die Sicherung des Friedens", so Schischkin. Wörtlich sagte er: "Angst ist der Schlüssel zum Frieden. Ich möchte Sie an ein Beispiel erinnern: Als die Sanktionen erstmals verhängt wurden, plädierte die damalige Bundeskanzlerin Merkel im Bundestag für Sanktionen, und Sahra Wagenknecht, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende einer der deutschen Oppositionsparteien, rief ihr zu: 'Seid ihr verrückt? Habt ihr vergessen, wer Berlin niedergebrannt hat?' Sie haben weitgehend vergessen, wohin ein Konflikt mit Russland führt. Diese Angst hat jahrzehntelang den Frieden gesichert."
Der Historiker räumte ein, dass seine Logik für Empörung in der russischen Bevölkerung sorgen werde, zeigte sich aber standhaft: "Viele werden sagen, Angst ist schrecklich, wir sollten auf gute Beziehungen setzen. Nein, nur Angst sichert den Frieden in Europa. Liebe und Freundschaft sind gut, natürlich, aber wir sollten auf Angst setzen."
Putin: "Genauso viele Spinner wie bei uns"
Wladimir Putin sendete bei seinem jüngsten Auftritt bei einer Podiumsdiskussion [externer Link] des "Waldai"-Klubs diesbezüglich unterschiedliche Signale. Einerseits machte er sich über Europas Drohnen-Ängste lustig und sprach ironisch von "Spaß mit unbekannten Flugobjekten": "Es gibt dort übrigens genauso viele Spinner wie bei uns. Das ist nicht anders, vor allem bei den jungen Leuten."
Peter Jungblut
Im Übrigen sei es "Unsinn", einen Angriff Russlands zu erwarten: "Die meisten Menschen in Europa können nicht verstehen, warum sie so große Angst vor Russland haben sollen, dass sie, um ihm entgegenzutreten, den Gürtel immer enger schnallen, ihre eigenen Interessen vergessen, sie schlichtweg aufgeben und eine Politik verfolgen müssen, die ihnen eindeutig schadet", so Putin: "Doch die herrschenden Eliten eines vereinten Europas schüren weiterhin Hysterie."
"Russlands Hauptfeind ist Europa"
Gleichwohl fiel russischen Beobachtern auf [externer Link], dass der Präsident seine Tonlage Richtung Europa deutlich verschärft habe, während er sich gegenüber den USA zurückgehalten habe: "Er sagte nichts grundsätzlich Neues. Doch seine Einleitung, wie die gesamte Rhetorik russischer Politiker und Propagandisten in den letzten Monaten, vermittelte klar den Kerngedanken: Russlands Hauptfeind ist Europa, nicht die USA." In Verbindung mit den Militärjets über der Ostsee und Drohnen-Attacken gebährde sich Putin "aggressiver als zuvor".
"Russland muss ständig gerettet werden"
Politologe Konstantin Kalaschew zog daraus das ironische Fazit [externer Link]: "Russland hat nicht die Absicht, die NATO anzugreifen. Das ist völliger Unsinn! Russland will einfach nur den Kalten Krieg wiederholen, seinen Ausgang revidieren und Rache nehmen."
Polit-Blogger Andrei Kolesnikow vertrat die Ansicht [externer Link], das Schüren von Angst sei die Lebensgrundlage der Kreml-Politik: "Die Konfrontation mit Feinden – sowohl mit äußeren als auch mit inneren – ist zum Dauerzustand des Regimes geworden, zur Existenzform seines politischen Körpers. Es kann nicht ohne Konfrontation existieren; es braucht ständig einen Feind; Russland muss ständig gerettet werden. Kein Land der Welt hat so lange gebraucht, um gerettet zu werden, wie das von Propagandisten erfundene imaginäre Russland."
Politologe Maxim Scharow zweifelte an Putins Strategie der säbelrasselnden Angstmacherei [externer Link]. Der Kreml sei offenbar bereit für eine weitere Eskalation: "Die Frage ist, ob das einem breiteren Publikum wirklich so rigoros vermittelt werden musste. Früher bereitete Putin seine Waldai-Shows mit mehr analytischem Denken und Kreativität vor."
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