"Adolescence" ist die Serie der Stunde: Gerade kratzt sie an der Hundert-Millionen-Streams-Marke, die Kritiken sind überschwänglich, die Frage "Hast du’s schon gesehen?" beliebtes Small-Talk-Futter. Und die Serie um den 13-jährigen Jamie Miller (Owen Cooper), der seine Mitschülerin Katie Leonard (Emilia Holliday) ermordet, ist auch ein Stoff unserer Zeit. Es gibt viele Gründe, warum uns die Serie trotz der schweren Thematik so fasziniert.
Weil die Serie keine einfachen Antworten gibt
Zwar liest man oft: Die Serie zeige, wie das Internet und Social Media ein Kind zum Mörder macht. Aber so einfach macht es sich "Adolescence" tatsächlich nicht. In Folge zwei sind wir an der Schule von Jamie und Katie – und sehen ganz altmodisches Mobbing und völlig überforderte Lehrerinnen und Lehrer.
In Folge drei spricht die Psychologin Briony Ariston (Erin Doherty) fast eine Stunde lang mit Jamie – vor allem darüber, welches Bild von Männlichkeit sein Vater Eddie (Stephen Graham) ihm vorgelebt hat. Das greift die letzte Folge wieder auf, in der sich Eddie fragt, ob er zu oft jähzornig gewesen sei. Die Serie schiebt das Problem toxische Männlichkeit also nicht weg von uns, gibt nicht Social Media die alleinige Schuld. Und so kann jeder selbst überlegen, wo die tieferen Ursachen liegen.
Weil Social Media trotzdem ein Problem ist
Wir alle nutzen Facebook, Instagram, TikTok oder Whatsapp. Obwohl wir wissen, wie schädlich Social Media sein kann – für uns selbst, für die Gesellschaft als Ganzes. Weil Tech-Konzerne ihre Algorithmen so bauen, dass sie unsere Belohungssysteme anzapfen, kommen wir nur schwer davon weg.
Wir können also alle verstehen, dass Jamie auf Instagram ist, obwohl es ihm nicht gut tut. Und wie er im Netz immer weiter abdriftet. Wenn wir als Erwachsene schon kaum in der Lage sind, das Handy beiseite zu legen – wie sollen das Kinder schaffen? Die Serie adressiert eines der drängendsten Probleme unserer Zeit, mit dem jeder seine Berührungspunkte hat.
Weil die Serie die Hilflosigkeit der Eltern zeigt
Kinder haben schon immer in einer anderen Welt gelebt als ihre Eltern. Aber was früher die zerrissene Jeans war, ist heute ein komplette, andere Welt: Viele Eltern bekommen gar nicht mit, wo sich ihre Kinder mit ihren Smartphones so rumtreiben. Sie kennen die Influencerinnen und Influencer nicht, verstehen Snapchat und TikTok nicht und erst recht nicht die subtilen Codes der Kommunikation. Die Kinder leben in einer parallelen Welt, die großteils im Verborgenen liegt.
Der einzige Rat von Experten lautet, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben über das, was sie online so treiben und erleben. Man hätte gern bessere Möglichkeiten, die Kinder zu schützen. "Adolescence" zeigt auf drastische Weise: Mit dieser Hilflosigkeit sind Eltern nicht allein.
Weil verunsicherte Männer zunehmend ein Problem sind
Manche kritisieren an "Adolescence", dass es eine Serie von Männern über Männer ist und dass das Opfer Katie kaum gezeigt, ihre Story nicht erzählt wird. Aber das hat eben auch damit zu tun, dass es eine Serie über toxische Männlichkeit ist. Ein Teenager-Junge, der ein Mädchen ermordet: Das ist in Großbritannien keine Seltenheit mehr und genau das wollten Jack Thorne und Stephen Graham, die die Idee zur Serie hatten, zum Thema machen.
Es ist ein Thema, das uns alle bewegt, weil wir zunehmend erleben, dass verunsicherte, junge Männer zum Problem werden. Ob es um sexuelle Übergriffe, um Hate Speech im Netz oder um Anschläge geht: Oft steckt ein junger Mann dahinter, der sich verloren hat zwischen traditionellen Rollenbildern und den Ansprüchen an einen modernen Mann. "Adolescence" führt uns vor, wo das enden kann.
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